Dr. Malte Denkert im Husumer Schloss

Theodor Storm und das Tabu

Theodor Storm mal ganz anders?

Am 7.1.18 lud der Verein Euterpe zu einem äußerst anregenden Vortrag von Dr. Malte Denkert ein. Der junge Literaturwissenschaftler, als Studienrat am Nordseegymnasium St.Peter tätig, ist in Fachkreisen längst kein Unbekannter mehr.

Bereits 2013 publizierte der Ergon Verlag in seiner Reihe : Literatur-Kultur-Theorie als 13. Band seine Arbeit „Das Wunderbare ist immer das Wahre“, die sich mit Gerhardt Hauptmanns Spätwerk beschäftigt. Im vergangenen Jahr erschien als 23. Band „Theodor Storm und das Tabu“.

In dieser Arbeit beschäftigt Denkert sich mit folgenden Tabuthemen, die sowohl das Denken im 19. Jahrhundert unausgesprochen beherrschten, als auch inhaltstragend in verschiedenen Novellen Storms auftreten: Homoerotische Beziehungen (seit 1871 unter Gefängnisstrafe), psychischer Kindesmissbrauch, körperliche und geistige Behinderungen, Nekrophilie, psychische Störungen und der Umgang mit Sexualität mit besonderer Sicht auf den Umgang „schwacher“ Männer mit „starken“ Frauen oder Geschwisterliebe.

Dazu wurden „Der Schimmelreiter“, „Im Schloss“, „Eine Malerarbeit“, „Im Sonnenschein“, „Ein Fest auf Harderslevhuus“ und für diesen Vortrag speziell „John Riews“ herangezogen.

Nach dem einstimmenden schönen Vortrag von acht stormschen Liebesgedichten durch Threse Chromik zitierte M. Denkert als kontrastierenden Text Storms Gedanken bzw. Horrorvisionen auf einer Bahnfahrt von Husum nach Hamburg, entnommen aus des Dichters biografischem Text „Von heut und ehedem“. Es galt als äußerst unschicklich für Männer, Schwäche zu zeigen, besonders, wenn es um psychische Leiden ging. In seiner dichterisch überhöhten Kurzprosa dieses Reiseberichtes bricht der Dichter mit diesem Tabu. Storms eigene Worte „...ich respektiere dieses Schweigen nicht...“ bilden den Untertitel des Buches und wohl auch die Legitimation des Dichters, sein Werk auf die von Denkert vorgenommene Weise zu lesen.

Zwischen Romantik, Realismus und Naturalismus findet sich der Husumer Dichter, dessen juristischer Broterwerb ihn mit so vielen Schattenseiten des Lebens konfrontierte. Besonders drastisch in „Ein Doppelgänger“. Vom Spukhaften des romantischen Gothic Novel, des Schauerromans, vom Märchen- und Sagenhaften aus der Vergangenheit über die Darstellung der sozialen Verhältnisse und Gefüge sowie ihres Wandels, die feinabgestimmte Darstellung zwischenmenschlicher Beziehungen im Realismus hin zum Interesse an psychischen Grenzfällen und zur Auseinandersetzung mit Alkoholismus und Vererbungslehre im Naturalismus.

Parallelen zum Werk und Leben Thomas Manns und Gerhard Hauptmanns und Edgar A. Poes wurden ebenso angesprochen wie das Schicksal Oscar Wildes.

Ein weiterer interessanter Aspekt ist die Verwendung von Anspielungen auf Figuren der antiken Mythologie zum Zweck der Camouflage von Tabuthemen sexueller Art (Diana, Ganymed), wie sie in verschiedenen vorangegangenen Literaturepochen auch zu finden sind, u.a. bei Vergil, Shakespeare und Goethe.

Mehr soll nicht verraten werden, als dass das Buch nach einer ersten Leseprobe dem Vortrag in Puncto intellektueller Anregung in nichts nachsteht und noch so einiges an genaueren Informationen zu bieten hat. Ein weiterer Beweis des offenen Geheimnisses, dass Storm mehr zu bieten hat als Husumerei.

Andrea Claussen