Die Sprechblase des Tages

Oder, wenn Rhetorikkurse versagen

Auf einmal erkennen die deutschen Politiker den Ernst der Lage. Volker Kauder, Vorsitzender der Unionsfraktion im Bundestag, hat einen hellen Moment und erkennt, dass es bei Politikdiskussionen gar nicht um Fakten und die tatsächliche Lage geht, die gefühlte Wirklichkeit sei wichtiger.

Klug, der Mann. Und er stellt fest, dass Politik mit verständlichen Worten erklärt werden müsse. Da hat wohl jemand den Knall nicht gehört. Populisten und Demagogen sind so stark geworden, weil die Politik ihre Anliegen nicht ordentlich erklärt hat? Die ganzen Rhetorikkurse sind also für die Katz’ gewesen? Jetzt muss also dringend aufgeklärt werden. Hier sieht Kauder die Schulen, Parteien, Gewerkschaften, die Wirtschaft und die Medien in der Pflicht. Er scheint wirklich zu glauben, dass neue Sprechblasen an der Situation etwas ändern könnten. Kein selbstkritisches Wort zu dem, was dringend geändert werden müsste. Nach seiner Meinung könne in einer sich rasch wandelnden Welt nicht alles wie bisher bleiben. Und das müsse man auch ehrlich so sagen. Schließlich könne man sich der Wirklichkeit nicht verweigern. Also, alles richtig gemacht, nur nicht mit verständlichen Worten erklärt. Altersarmut ist richtig, sozialer Abstieg ist richtig, Milliardengewinne der Konzerne sind richtig, drei Jobs im Niedriglohnsegment, um einigermaßen über die Runden zu kommen, sind richtig. Jetzt muss man nur noch erklären, warum das richtig sei, bloß in verständlicher Sprache. Wovor er erfolgreich die Augen verschließt, ist, dass ein Land, das immer mehr Verlierer zulässt, irgendwann mit Konsequenzen rechnen muss. Das Volk ist eine träge Masse, aber wenn ihm Ordnung und Führung angeboten werden, läuft es blind hinterher. Allein das Gefühl, verstanden zu werden, reicht dafür völlig aus. Hier sind wir und dort ist der Feind. Andererseits sind diese Prediger ihr einziges Sprachrohr. Politisch gibt es keine Alternative, da sich alle etablierten Parteien dem Diktat von Wirtschaft und Kapital unterworfen haben. Unterschiede sind, bis auf einige Sprechblasen, nicht erkennbar.

Wandel und Veränderungen können Ängste schüren, Populisten nutzen das für ihre inhaltsleere Demagogie. Auf dem Rücken der berechtigten Ängste gedeihen Fremdenhass und Rassismus, geschürt von diesen trumpen Hetzern. So haben wir zwei Lager: die einen, die alles richtig gemacht haben, und die anderen, die alles niedermachen wollen.

Wenn Kauder sagt, dass man sich der Wirklichkeit nicht verweigern könne, wird er die Wirklichkeit auf der Straße zu spüren bekommen. Bleiben dann als letzter Ausweg Gummiknüppel, Tränengas und Wasserwerfer? Wirklichkeit ist auch, dass die Existenz von Verlierern immer billigend in Kauf genommen wird...von den Gewinnlern.

Wolfgang Claussen