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Dzevad Karahasan, mehr als eine Lesung
Wann berührt Literatur? Wenn man sich wiederfindet. Das kann alle möglichen Lebensbereiche betreffen: die Wünsche und Träume, den Kummer und das Leid, das Verhältnis zu Menschen, die wir lieben oder fürchten, die Sorgen um die Zukunft, die Politik oder die geistige und körperliche Gesundheit.
Dann gibt es die Bücher, die mehr sind als das. Bücher, die mehr bieten als eine interessante und spannende oder gefühlvolle Geschichte oder die beliebten „Kochbücher“ zur Problembewältigung, Gesundheit oder zum Erfolg im Beruf.
Solch ein Buch stellte der bosnische Schriftsteller Dzevad Karahasan im Rahmen des schleswig-holsteinischen Literatursommers 2017 in Husum vor. „Der Trost des Nachthimmels“ ist ein Buch, an dem er nicht, wie sein Verleger behauptet, elf Jahre schrieb, sondern sein ganzes Leben lang. Es ist ein philosophischer Roman, der im Mittelalter in Isfahan, der Stadt der Städte, spielt. Im 11. Jahrhundert bzw. im Jahre 465 nach muslimischer Zeitrechnung beginnt die Geschichte der historisch belegten Hauptperson, des Universalgelehrten Omar Chayyam. Er ist ein Genie in der Mathematik und der Astronomie, der, „der den besten Kalender erschuf, den es je gegeben hat.“
Und auch einer, der mit all seinem Wissen und seinem auf Rationalismus aufbauenden Weltbild einsam unter den Menschen dasteht. Der Nachthimmel mit seinen Sternen ist ihm ein Trost, denn er glaubt an ein Gesetz, das hinter allem steht und alles verbindet, welches ein kollektives Bewusstsein aller Individuen ermöglicht, das Grundbedingung für echte Kommunikation ist, ohne die kein Weg aus der Einsamkeit führt. So erklärt er sich auch die Verbundenheit mit Menschen, die wie er die Stadt „überschwemmen“. In einem erkennt er einen verwandten Geist, a kindred spirit, wie es im Englischen so gut ausgedrückt wird. Das ist noch ein wenig anders als die deutsche „Seelenverwandtschaft“.
Durch die Aufgabe, einen Giftmord am Vater eines Freundes aufzuklären, verliert er im Laufe der Zeit quasi alle seine Freunde und wird von der Bevölkerung als Sonderling belächelt, der nicht in der Lage ist, das Offensichtliche zu erkennen.
Im weiteren Verlauf des Buches wird die Geschichte zunehmend politisch, denn als Gegenspieler des Gelehrten tritt der religiöse Fanatiker Hasan-i Sabbah, der Begründer des Assassinenordens, auf den Plan; und dieser Kontakt ist tatsächlich ebenfalls historisch belegt. Welch Stoff für Politisches, Psychologisches und Philosophisches.
Mit viel Spannung, höher Poesie und einer kräftigen Prise Lebensweisheit und Humor führt uns Dzevad Karahasan durch den Orient von 1001 Nacht und gibt uns dabei einen Einblick in menschliche und politische Strukturen und Verhaltensmuster, die sich auf heutige Verhältnisse unschwer übertragen lassen.
Andrea Claussen