Wie die Politik durch die Krise stolpert

Impfen in Nordfriesland

Die dritte Impfung steht an. Ein gutes Gefühl, den bestmöglichen Schutz zu bekommen. Die Pandemie bestimmt zurzeit unser Leben. Im Vorfeld konnte man die Voraussetzungen für eine Booster-Impfung prüfen.

Also 60+ passt. Über impfen-sh kann man einen Impftermin bekommen. Auf der Seite schreibt das schleswig-holsteinische Gesundheitsministerium in einer Pressemitteilung: „Es werden sowohl die Impfstoffe BioNTech als auch Moderna verimpft. Auffrischimpfungen werden den Empfehlungen der ständigen Impfkommission (STIKO) folgend vorgenommen. Abweichungen sind auf persönlichen Wunsch und nach ärztlicher Beratung möglich. (Anm. d. Red. So steht es heute auch noch auf der Seite)
..  Land, Kommunen und KVSH werden … neue stationäre Impfstellen mit Terminbuchungsmöglichkeit auf den Weg bringen.“ Das Impfzentrum in Husum hat seine Arbeit pünktlich aufgenommen. Klasse!

Das Robert-Koch-Institut schreibt im Epidemiologischen Bulletin Nr. 46 vom 18.11.2021, S. 14: „Für die Auffrischimpfung soll möglichst der mRNA-Impfstoff benutzt werden, der bei der Grundimmunisierung zur Anwendung gekommen ist. Wenn dieser nicht verfügbar ist, kann auch der jeweils andere mRNA-Impfstoff eingesetzt werden.“

Bernd Petersen ist Impfkoordinator des Kreises Nordfriesland. Der shz schreibt, dass lt. Petersen genügend Impfstoff vorhanden sei. Allerdings behauptet er dort auch: „Bis zum 3. Dezember, nächste Woche Freitag, sind Bürger dran, die 60 Jahre oder älter sind. Aufgrund der Empfehlung der Ständigen Impfkommission wird an diese Personen der Impfstoff von Moderna verimpft.“ – Quelle: https://www.shz.de/34490882 ©2021
Recherchen beim RKI ergeben da ein anderes Bild, das Bulletin Nr. 46 ist das aktuellste (s.o.).

Bernd Petersen, der Impfkoordinator, ist für die Logistik des Aufbaus der Impfzentren zuständig, vom Messebau über Liegen, Laptops bis zum Papier. Mit dem Impfen selbst habe er nichts zu tun. Er sagte uns dazu, dass die alleinige Verantwortung für die Impfkampagne beim Land liege, es mache die Vorgaben. So sei die Aussage, dass bei der jetzigen Impfaktion nur der Impfstoff Moderna verimpft werden solle, auch keine Empfehlung der STIKO sei. Das gelte nur für unter 30jährige. Hier sei er falsch zitiert worden.

Nachdem Gesundheitsminister Spahn den unsäglichen Kommentar abgegeben hat, dass Moderna wegen des nahenden Ablaufdatums verimpft werden müsse, versuchen alle den angerichteten Schaden so klein wie möglich zu halten. Spahn behauptete später, es sei genügend Impfstoff, auch von BioNTech, vorhanden. Im Gegenteil, man bekomme weitere Dosen der Firma.

Die Terminvergabe war eine Freude. Im ersten Anlauf war ein Termin für den übernächsten Tag zu bekommen.

Im Impfzentrum sah es dann doch anders aus. Die leitende Impfärztin verwies darauf, dass sie im Kühlschrank nur Moderna-Impfstoff vorrätig habe. Eine Impfung mit BioNTech, wie von der STIKO in diesem Fall empfohlen, sei daher nicht möglich, auch nicht zu einem späteren Zeitpunkt. Es gebe weitere Alternativen, Impfangebote z.B. durch die Hausärzte. Allerdings verimpfen die Hausärzte auf Anweisung der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) nur Moderna an die Generation 60+. Das ist also eine Sackgasse. Man könne aber auch z.B. die offenen Impfangebote annehmen, irgendwo in Schleswig-Holstein – 100 km fahren und stundenlang draußen warten. Was wird dort eigentlich verimpft? Unnötige Alternativen, wenn man sich nur an die entsprechenden Empfehlungen halten würde.

Im Aufklärungsbogen, den man zur Impfung unterschreiben muss, steht das gleiche wie in der STIKO-Empfehlung: ein anderer Impfstoff nur, wenn der vorher eingesetzte nicht verfügbar ist. Das kann doch aber nicht bedeuten, dass man zur Impfstelle keinen anderen Impfstoff mitnimmt, obwohl er vorhanden ist. Wenn man kein Bier im Kühlschrank hat, bedeutet es doch nicht, dass es kein Bier mehr gibt. Irgendjemand war zu faul welches mitzubringen. Soll so mit Taschenspielertricks die Empfehlung der STIKO einfach ignoriert werden?

Für wen sind dann die Aussagen in der Pressemitteilung des Gesundheitsministeriums bestimmt?

Wozu gibt die STIKO Empfehlungen, wenn sich niemand daran hält?

Also dann Moderna, es ist ein guter Impfstoff, allerdings teilweise mit höheren Raten bei den Nebenwirkungen.

Dr. Hans-Joachim Commentz (KV S.-H.) erklärte uns heute (29.11.2021), dass es eine Vorgabe des Bundes gewesen sei, an über 30jährige nur noch Moderna zu verimpfen. Schon jetzt sei es möglich, dass sogar BioNTech für die unter 30jährigen nicht in ausreichender Menge zur Verfügung stehen werde.

Es ist nicht in Ordnung, wenn die Allgemeinheit mit unrichtigen Behauptungen beschwichtigt wird. Das sind Fake-News von offizieller Stelle. In einer Situation, in der das Impfen so wichtig ist, erweist ein solches Vorgehen der Sache einen Bärendienst. Aber es geht ja nicht um das Ablaufdatum, oder doch? Oder zeigt sich hier, dass die Logistik bei den Bestellungen der Noch-Regierung grob fehlerhaft war? Gibt es entgegen der Beteuerungen der zuständigen Minister einfach zu wenig Impfstoff?

30.11.2021 - Das schleswig-holsteinische Gesundheitsministerium antwortet auf unsere Anfrage:
"Es ist richtig, dass in der Pressemitteilung vom 19.11. von beiden mRNA-Impfstoffen gesprochen wird.
Allerdings weisen wir seither in unseren Pressemitteilungen als auch auf unserer Internetseite an mehreren Stellen deutlich darauf hin, dass a) in den Impfstellen hauptsächlich der Impfstoff von Moderna zur Anwendung kommt und b) es keine Wahl des Impfstoffs in den Impfstellen gibt."

Es wird also hauptsächlich der Impfstoff von Moderna verimpft. Was ja nicht stimmt, wenn nur dieser Impfstoff verwendet wird. Die Pressemitteilung vom 19.11. wird auf der Seite impfen-sh immer noch als die aktuelle bezeichnet. Es wird weiterhin auf die Empfehlungen der STIKO verwiesen und von einer Wahlmöglichkeit gesprochen. Auch wenn an anderer Stelle diese Wahlmöglichkeit nicht mehr angeboten wird, diese Mitteilungen muss man auch erst mal finden. Warum wird nicht gesagt: Wir haben zu wenig Impfstoff, deshalb wird, entsprechend der STIKO-Empfehlungen, BioNTech nur an unter 30jährige verimpft? Dann wäre alles klar gewesen, nur die Regierung hätte doof dagestanden, weil sie im Vorfeld gepfuscht hat, der Krise mal wieder hinterherläuft. Diese Neigung Fehler nicht einzugestehen und mit rhetorischen Nebelkerzen zu verschleiern, ist ganz schlechter Stil.

Am 01.12. war noch zu lesen, dass nach dem Empfehlungen der STIKO geimpft werden würde. Also BioNTech für unter 30jährige. Einige Absätze später dann: "In den Impfstellen gibt es keine Wahlfreiheit beim Impfstoff. Es wird der Impfstoff der Firma Moderna verimpft. Dieser ist ab einem Alter von 12 Jahren zugelassen. Die STIKO empfiehlt die Verwendung erst ab 30 Jahren. Für Personen, die unter 30 Jahre alt sind, ist die Verwendung jedoch nach individueller Entscheidung und ärztlicher Aufklärung auch in den Impfstellen möglich."

Am 02.12. wird dann nicht mehr nach den STIKO-Empfehlungen geimpft. Und immer noch kein Wort, dass zu wenig Impfstoff vorhanden ist. Der Impfstoff von Moderna ist ja noch vorhanden, allerdings wird der wegen vermehrter Herzbeutelentzündungen für unter 30jährige nicht empfohlen. Individuell kann man sich, nach ärztlicher Aufklärung, damit impfen lassen. Aber eine individuelle Wahl hat man nicht. Entweder akzeptiert man das höhere Risiko oder es gibt eben keine Impfung. Aber bis zur Impfpflicht ist bestimmt wieder alles vorhanden, oder eben nicht. Ob dieses Herumgeeier jetzt den dringend erforderlichen Schub zum Impfen gibt? 

Wolfgang Claussen