Antibiotikaresistenz

Rückfall in das Mittelalter?

Ausschnitt aus Nicolas Poussins: Die Pest von Azoth. Das Original hängt im Louvre1928 fand der schottische Forscher Alexander Flemming zufällig heraus, dass ein Schimmelpilz der Gattung Penicillinum eine keimtötende Wirkung hat. Flemming gilt als „offizieller“ Entdecker des Penicillins. Er bekam dafür 1945 den Nobelpreis.

Schon dreißig Jahre zuvor hatte der französische Militärarzt Ernest Duchesne entdeckt, dass bestimmte Schimmelpilze über Bakterien abtötende Eigenschaften verfügen. Er hatte beobachtet, dass Stallknechte ihre Sättel in dunklen, feuchten Räumen lagerten, um das Wachstum von Schimmelpilzen anzuregen. Wunden, die durch das Scheuern auf dem Sattel entstünden, heilten schneller ab. Duchesne gilt heute als der eigentliche Entdecker des Penicillins.

Einstmals eine scharfe Waffe gegen bakterielle Infektionen, wird diese immer mehr zu einem stumpfen, wirkungslosen Schwert. Wie konnte das passieren? Schuld ist wie so oft der unüberlegte, profitorientierte Umgang mit den gegebenen Möglichkeiten.

In meiner Kindheit wurden Infekte mit Kräutern und Wickeln behandelt, mit Salbei, Kamille, Gelbwurz und Thymian. Das durfte der Hausarzt früher auch verschreiben und er tat es. Aloe vera hilft bei der Wundheilung und Cranberrys gelten als genau so effektiv wie ein Antibiotikum bei Harnwegsinfekten. Pflanzen enthalten ätherische Öle, Senföle, Flavonide und Gerbstoffe. Die Natur sorgt eigentlich gut für uns, mit den „natürlichen“ Antibiotika.

Einen Einschnitt gab es, als die Krankenkassen 2004 entschieden: Hausmittel fallen aus der Erstattung. Was sollten die Ärzte tun, wenn jemand mit einer Erkältung in die Praxis kam? Für manche ist eine Erkältung mit sehr hohem Pflegebedürfnis und erheblichem Krankheitsgefühl verbunden. Man kann doch Patienten nicht mit ein paar Tipps wegschicken. Sie sind krank und wollen ein Medikament. Das war die Geburtsstunde der „Superinfektion“. Genialer Schachzug. Antibiotika sollten eine sich auf den Infekt aufsetzende bakterielle Superinfektion verhindern. Die meisten dieser Infektionen sind viral bedingt und Antibiotika helfen nur gegen Bakterien. Bei der Bronchitis werden 95% der Erkrankungen durch Viren ausgelöst. Eine völlige Verschwendung dieser so wichtigen Arznei. Ohne Erregernachweis wird ein Breitbandantibiotikum verschrieben, mit der Schrotkugelmethode. Irgendetwas wird schon treffen. Ein Angiogramm zu erstellen, um zu sehen, ob überhaupt ein Erreger da ist, bzw. welcher, ist entweder zu zeitaufwändig oder zu teuer?

Wie kommt es zu immer mehr Resistenzen, warum wirken diese eigentlich zuverlässigen Bakterienkiller nicht mehr? Dafür gibt es mehrere Gründe. Therapien, die nicht zu Ende geführt werden, sind ein Beispiel. Wenn es dem Patienten besser geht, setzt er oft die Medikamente ab. Das ist bei Antibiotika fatal, die Bakterien sind nicht beseitigt und lernen, sich gegen den Angriff zu wehren. Sie werden resistent und geben das neu Erlernte an andere weiter. Außerdem werden Antibiotika im Körper nicht komplett abgebaut und  gelangen so ins Abwasser. Sie kommen dort mit Bakterien in Kontakt und weitere Resistenzen entstehen. Der prophylaktische Einsatz in der Tierhaltung ist ein weiteres Problem. Durch die anfallende Gülle werden Antibiotikareste in den Boden eingetragen. Resistenzen werden ausgebildet, die Bakterien bleiben lange im Boden und finden irgendwann den Weg in unsere Nahrungskette. Als Mastbeschleuniger sind Antibiotika inzwischen verboten, Tierkrankheiten werden natürlich immer noch behandelt. Auch durch zu kurz gegartes Fleisch können resistente Bakterien auf den Menschen übertragen werden.

Doch durch nichts zu toppen ist die Ansteckungsgefahr in den Krankenhäusern: 15.000 bis 30.000 Todesopfer pro Jahr sollen es sein, 600.000 Infektionen durch multi-resistente Staphylokokken (MRSA). Für Krankenhäuser ein riesiges Problem. Eine Bezeichnung haben wir auch schon: Krankenhauskeim. Während in Holland jeder neu eingewiesene Patient auf diesen Stamm untersucht wird und bei positivem Ergebnis auf eine Quarantänestation kommt, wird dieses Problem in deutschen Krankenhäusern zum Teil sehr lax gehandhabt. Bakterien werden von Bett zu Bett übertragen. Menschen sterben durch die Nachlässigkeit anderer. In Deutschland sollen 600 Kliniken an der Aktion „Saubere Hände" teilnehmen. Was für ein Hohn. In den 1840er Jahren hat der Arzt Ignaz Semmelweis bereits nachgewiesen, dass die Desinfektion der Hände die Infektionsrate eindämmt. Heute brauchen wir dafür ausgebildete Hygieneärzte - und die sind teuer, vielfach zu teuer für unsere Gesundheit. Wenn wir nicht dazulernen, werden wir irgendwann wieder im Mittelalter angekommen sein.

Wolfgang Claussen