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Beeindruckende Lesung im Kulturkeller
Honoré de Balzac: „Das unbekannte Meisterwerk“
Am Montag, dem 12.9. wurde im Husumer Kulturkeller, seit 2015 Veranstaltungsort der Ede-Sörensen-Stiftung, Hochkarätiges geboten.
Die Deutsch-Französische Gesellschaft (DFG) hatte zu einer Lesung eingeladen, die zwei Schriftsteller, den deutschen Romantiker E.T.A. Hoffmann (1776-1822) und den französischen Schriftsteller Honoré de Balzac (1799-1850), der zu den Realisten gezählt wird, miteinander verbindet: Für Balzacs Erzählung "Das unbekannte Meisterwerk" stand eine von Hoffmanns "Phantastischen Künstlererzählungen" Pate. Zudem, so betonte Siegfried Schulze-Kölln von der DFG in seinen einleitenden Worten, sei Balzac ein Zeitgenosse Theodor Storms.
Wie weit Balzac Hoffmanns Text übernommen hat, kann ich nicht sagen, da ich diesen Text noch nicht vorliegen habe. 1831 erschien "Le chef d' œvre inconnu". Der fantastische und etwas unheimliche Rahmen, die Heimlichtuerei des alten Meisters und die historische Ansiedlung der Handlung im Paris des Frühbarock (1612) sowie die eindeutige Genieverehrung finden sich allerdings in Balzacs Erzählung als romantische Elemente wieder. Zu einer Überschneidung romantischer und realistischer Tendenzen, wie auch romantischer und klassischer Elemente kommt es in der Literatur des ausgehenden 18. bis hin zur Mitte des 19. Jahrhunderts immer wieder. So auch bei Theodor Storm, der Zeitgenosse Balzacs war und dessen lyrisches Werk der Romantik, das erzählerische dem Realismus zugerechnet wird.
E.T.A. Hoffmann, Jurist und künstlerisches Multitalent, zählt noch zu den Frühromantikern (vgl. Sturm und Drang), welche sich stark mit der Rolle des "Künstlers an sich" auseinandersetzten und im Genie einen Mittler zwischen materieller und geistiger Welt sahen. Hoffmann selbst allerdings liebte die gesellschaftspolitische Karikatur, sowohl als literarische Form, als auch als karikierende Zeichnung. Diese Leidenschaft ließ sich dann auch mit einer juristischen Karriere, die ihm von seinen guten Leistungen her zugestanden hätte, nicht vereinbaren.
Balzac, der ebenfalls als Jurist begann, wandte sich schon eher einer literarischen Tätigkeit zu und engagierte sich zudem als Verleger und politischer Journalist. In den frühen 1830er Jahren fasste er seine Erzählungen unter wechselnden Gruppentiteln zusammen, wie "Scènes de la vie privée", "Scènes de la vie parisienne" oder "Romans et contes philosophiques".
1834 verfasste er "Le père Goriot", sein Meisterwerk, und beschloss, die darin vorkommenden Figuren in zukünftigen Werken "weiterleben zu lassen", auch in früheren Werken auftretende Charaktere ließ er von da an wieder auftreten, um auf diese Weise ein umfassendes Sittengemälde seiner Zeit zu schaffen, mit dessen Protagonisten sich der Leser identifizieren konnte. Die Idee erinnert mich an die Funktionsweise heutiger Serienfilme, ein sehr moderner Gedanke, den Balzac damit entwickelt hatte. Dieses Projekt sollte unter dem Obertitel " La Comédie humaine" eine neu geordnete Herausgabe seines gesamten bisherigen Werkes inklusive etwa 12 neuer Bände mit Erzählungen darstellen. Die Oberbegriffe waren: "Philosophische Studien", "Analytische Studien" und "Studien der Sitten".
Ähnlich tragisch wie sein Zeitgenosse Sir Walter Scott, dessen Werk ihn übrigens durch die historischen Romane zu seinem ersten Erfolg inspirierte, wurde er zum wie besessen arbeitenden Schriftsteller, der mit an die 17 Arbeitsstunden und 50 Tassen Kaffee am Tag seiner Gesundheit irreparable Schäden zufügte. Mit 51 Jahren starb er, das große Projekt zwar nicht vollendet, aber dennoch so umfangreich, dass er das Kreuz der Ehrenlegion dafür erhielt.
In der von Gerd Udo Feller brillant vorgetragenen Erzählung geht es um das Prinzip der Malerei und parallel dazu um das Verhältnis des Künstlers zur Frau.
Dementsprechend hat Balzac beiden Teile der Geschichte den jeweiligen Frauennamen vorangestellt. Teil1: Gilette, Teil zwei: Cathérine Lescault.
Der junge Nicolas Poussin trifft beim Besuch eines anerkannten alten Malers auf den alt gewordenen deutschen Maler Frenhofer, den einzigen Schüler des genialen Mabuse. Dieser ist ein begnadetet Maler, dem es mit einigen wenigen Pinselstrichen gelingt, Poussins Skizze zum Leben zu erwecken. Eine Diskussion über Kunsttheorie und den Sinn und das Wesen der Kunst entspinnt sich, denn Frenhofer kritisiert das Werk des Alten und und zieht Verbindungen zu den alten deutschen Meistern, die nicht an die Maler der italienischen Renaissance heran gekommen wären. Rubens tut er völlig ab. Er selbst habe sich mit Leib und Seele der Darstellung einer unglaublich schönen Frau gewidmet, Cathérine Lescault, werde aber nicht mit dem Gemälde fertig. Nie wolle er es den Augen anderer preisgeben. Dennoch gelingt es Poussin, ihn durch einen "Kuhhandel" dazu zu bewegen, dass er den beiden das Werk offenbart. Poussin verspricht, Frenhofer seine Geliebte, Gilette, zu zeigen.
Diese stimmt traurig zu, denn damit opfert sie ihre Liebe Poussins Erfolg. Sie erkennt, dass sie ihn nun nicht mehr lieben kann, weil ihm die Kunst mehr bedeutet als die Liebe zu ihr ("...die Poesie und die Frauen geben sich nackt nur ihren Liebhabern").
Für alle anwesenden Maler war es wirklich interessant, neben den Aussagen über das Wesen der Kunst auch die Theorien über die Malerei wie die Bedeutung von Fläche und Linie, von Licht und Schatten, von Plastizität und Farbauftrag zu hören.
Die Geschichte endet damit, dass die Enthüllung des unbekannten Meisterwerkes eine große Enttäuschung wird. Bis auf einen genial gemalten Fuß ist auf der Leinwand nichts mehr von der schönen Cathérine zu erkennen. Allein Frenhofer vermag sie noch unter einem völlig abstrakt wirkenden Farbgewirr zu erkennen. Entsetzt erkennt Poussin, dass der Deutsche über dem Streben nach Perfektion den Verstand verloren haben muss. War das "Opfer" seines privaten Glücks also völlig umsonst? Oder könnte ihm das Leben Frenhofers als Warnung dienen? Nicht selten kommt es vor, dass Bilder "totgemalt" werden. Es ist eine Kunst, zum richtigen Zeitpunkt aufzuhören. Und außerdem sollte man Menschen misstrauen, welche "die Weisheit mit Löffeln gefressen haben!"
Gerd Udo Feller ist ein erfahrener Schauspieler und Sprecher. Über dreißig Hörbücher hat er bereits aufgenommen. Auch leitete er in Berlin ein eigenes "Theater der Veröffentlichungen", wo er "schwierige" Stücke auf die Bühne brachte. Feller ist auch schriftstellerisch tätig. Zurzeit beschäftigt er sich mit Lyrik.
Seine Vortragsweise war einprägsam und von ausdrucksvoller, und doch unaufdringlicher Gestik begleitet. Gerd Fellers angenehme Stimme füllte den Raum und zauberte eine Stimmung, welche das Publikum im wahrsten Sinne des Wortes "ganz Ohr" werden ließ. Die Resonanz war entsprechend begeistert.
Ähnlich schön soll seine Lesung am Vortag im Alten Rathaus Garding (Förderverein für Kunst und Kultur Eiderstedt) verlaufen sein. Dort trug er zum Abschluss der Sûria- Ausstellung seiner langjährigen guten Freundin Inka Langer (Vorstandsmitglied des FKKE) Lyrik des persischen Dichters Rümi vor. Inka Langer, die auch im Kunstverein Husum Mitglied ist, sei hiermit für ihre Initiative gedankt, der wir zwei ganz besondere Tage zu verdanken haben.
Andrea Claussen