Mungard — friesische Lyrik vertont

Hier entstand „in der Coronazeit“, vom Frühjahr 2020 bis 2021, etwas Einmaliges auf dem Gebiet der Liedkunst. Es geht um die Vertonung ausgewählter Gedichte des Dichters Jens Emil Mungard (1885—1940).

Der in Keitum auf Sylt als Sohn eines größeren Bauern geborene Friese schrieb etwa 800 Gedichte sechs Theaterstücke und einige Prosa auf Sölring, dem Sylter Friesisch. Für die Erhaltung des Sölring hatte sich auch sein Vater Nann Mungard stark eingesetzt. Damit ist sein Werk, auch in der Qualität seiner Sprache hervorragend im Kanon der Norddeutschen Dichtung. Trotzdem blieb er lange nur wenig beachtet. Hochdeutsche Nachdichtungen seiner Lyrik existieren von Karl Schmidt, Lehrer aus Rodenäs (*1910) und Ingo Laabs (*1972).

Obwohl Jens Mungard 1910 heiratete und den elterlichen Hof übernahm, war ihm kein Erfolg im Privatleben und als Bauer beschert. Nachdem er 1920 für den Anschluss an Dänemark gestimmt hatte, galt er als „Vaterlandsverräter“, 1921 brannte sein Hof nieder, danach ein Haus, das er sich in Archsum gekauft hatte. Finanziell ruiniert, wurde er geschieden, entmündigt und war entwurzelt. 1934 verließ er sein geliebtes Sylt und schlug sich in der Gegend von Flensburg und nördlich der Grenze durch.

Schon bald nach der Machtübernahme der Nazis erkannte er deren totalitären und menschenverachtenden Charakter, der seiner Freiheitsliebe zuwider war. Nach einigen Spottgedichten und kritischen Äußerungen wurde er 1934 erstmalig in „Schutzhaft“ genommen und erhielt Schreibverbot. Daran hielt er sich natürlich nicht, war doch das Schreiben alles, war ihm noch geblieben war. So kam er unweigerlich ins Konzentrationslager, und zwar nach Sachsenhausen bei Berlin, wo er nach 377 Tagen der Schinderei erlag.

Zurück zu Mungards Lyrik. 13 seiner Gedichte wurden mit Genehmigung des Nordfriisk Instituut von Christoph Hansen, Musiker und Lehrer in Husum, vertont. Die Kompositionen, von ihm selbst gespielt und arrangiert, zeichnen sich durch einen ganz besonderen Stil aus, der weit über einen stimmungsvollen Background zum Gesang hinaus geht. Zum Komponieren hat sich der engagierte Pädagoge und Familienvater einen besonderen Rückzugsort geschaffen: einen hölzernen Wohnwagen, wie ihn früher die Jahrmarkts—oder Zirkusleute hatten, allerdings neu. Darin kann er seinen Fantasien freien Lauf lassen, seine Tonaufnahmen machen und mischen: Gitarre, Saxophon und Klavier und Streicherklänge.

Dabei ist ihm eine sehr einfühlsame Richtung gelungen, die ausgezeichnet den Inhalt der Lyrik erfasst und sowohl den Gesang ergänzt, als auch in den instrumentalen Phasen eigenständig eine volle Wirkung erzielt. Stilistisch bewegt sie sich zwischen Songwriter/Liedermacher, ein wenig Jazz und ein bisschen Klezmer. Unaufdringlich gehen die Melodien unter die Haut, ohne auch nur eine Minute langweilig zu sein.

Für das Friesische und die Textauswahl war Kalle Johannsen zuständig. Er spielt seit Jahrzehnten im Dragseth Duo oder Trio mit Manuel Knortz und Jens Jesse Lyrikvertonungen, Folksongs verschiedenster Art und Lieder.

Seine Stimme passt sehr gut zu den politischen Gedichten auf der CD, in denen es um die „Schutzhaft“ und um Standfestigkeit der eigenen Überzeugung geht.

Seine Tochter Martje, die wie er selbst das Lehramt studiert hat und Kollegin von Christoph Hansen ist, schafft als Chorleiterin bei Großen und Kleinen Freude am Singen. Ihre wunderbare Stimme, die alle Höhen und Tiefen der Gedichte Mungards auslotet, geht unter die Haut.

So schafft es diese Musik, sich der Gefühle und Gedanken zu bemächtigen und sie auf eine Reise mitzunehmen, die auch die Schönheit und die Melancholie der Natur von Sylt treffend beschreibt.

Besonders freuen sie die drei Musiker darüber, dass ihr Stück „Trüwin“ von der Jury der bundesweiten Liederbestenliste für den Monat Oktober auf Platz 9 gesetzt wurde.

Die CD ist erhältlich in der Schlossbuchhandlung in Husum, dem Sölringmuseum/Sylt im Nordfriisk Instituut oder über christophhansen.bandcamp.com.

Andrea Claussen