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Gehört die Kartoffel zu Deutschland?
Eine Betrachtung
Die Kartoffel stammt wohl aus den Anden, ihr Alter wird auf 13.000 Jahre geschätzt. In Europa im 16. Jahrhundert zuerst als Zierpflanze gepflanzt, landete sie im 17. Jahrhundert bei uns im Kochtopf. In Deutschland sollen die ersten Kartoffeln während der Regierung Ferdinand III. 1647 in Pilgramsreuth (Rehau), Oberfranken angebaut worden sein. 1748 wurden die ersten Kartoffeln im Harz angebaut. 1751 weigerten sich die Bauern, weiterhin Kartoffeln anzubauen, es lohnte sich nicht. In Braunlage gibt es ein Kartoffeldenkmal, die Inschrift lautet: „Hier sind 1748 die ersten Versuche mit dem Anbau der Kartoffel gemacht.“
Anders der alte Fritz, er erkannte, dass die Kartoffel eine Hilfe bei der Bekämpfung der Hungersnöte sein könnte. 1756 schrieb er den Kartoffelanbau vor - per Kartoffelbefehl. Er hatte keinen leichten Stand. Viele konnten nichts mit der Kartoffel anfangen. Sie verstanden ihren Nutzen nicht, aßen die Beeren und vergifteten sich. Sie galt als Speichel des Teufels. Der geistliche und sittliche Niedergang der Kartoffelesser wurde prophezeit. Listenreich hat der Alte Fritz Kartoffeln anbauen lassen, die er bewachen ließ. In der Folge wurden die Bauern neugierig, sie nahmen an, die Kartoffel sei wertvoll. Auch beim Klauen schauten die Wachen nicht hin, so fing dann der Siegeszug der nahrhaften Knolle an.
Inzwischen zählt sie zu unseren Grundnahrungsmitteln. Gehört sie damit zu Deutschland?
Die Nachkommen der ersten Kartoffeln werden seit vielen Generationen in Deutschland angebaut. Die Samen, wie alle grünen Teile der Knolle, sind für den Menschen leicht giftig. Die Auszeichnungspflicht weist sie als deutsche Kartoffel aus. Hat sie damit eine Tradition in Deutschland? Eigentlich egal, die Kartoffel radikalisiert sich nicht.
Der Islam soll ja in Deutschland keine Tradition haben und damit nicht zu Deutschland gehören. Der preußische König Friedrich Wilhelm I. soll mit dem „Dekret zu Potsdam“ 1731 für muslimische Infanteristen, am Langen Stall in Potsdam einen Saal als „erste Moschee“ errichtet haben, im Jahr 1739 sei zudem die erste islamische Gemeindegründung auf deutschem Boden erfolgt. Die meisten Muslime, die heute in Deutschland leben, haben einen türkischen Migrationshintergrund. Sie wurden in den 1960er und vor allem 1970er Jahren nach Deutschland geholt, als Gastarbeiter. Wir brauchten sie, sie mussten uns bei unserem Wirtschaftswunder helfen. Der eine millionste Arbeitsmigrant bekam einen Motorroller als Präsent. Als das Wirtschaftswachstum ins Stocken geriet, wollte man die Migranten nicht mehr haben. Der Mohr hatte seine Schuldigkeit getan, der Mohr konnte gehen*.
In den 1980er und 1990er Jahren kamen dann die Asylanten aus dem Iran, Afghanistan, dem Libanon oder aus Bosnien und Albanien. Die Kriege in diesen Ländern waren der Grund für ihre Emigration, viele wollten nicht mehr in ihre Heimatländer zurück. Eine religiöse Infrastruktur entstand. 2006 fand die erste Deutsche Islamkonferenz statt, ein Dialog zwischen Muslimen und dem deutschen Staat sollte entstehen.
Ab wann hat etwas eine Tradition in Deutschland? Muss eine Tradition alt sein oder gibt es hier Interpretationsspielräume? Der Soziologe Max Webers sieht in der auf Tradition beruhenden Herrschaft die politische Ordnung, die auf überliefertem Wissen beruhe und auf persönlichem Gehorsam basiere. Aber Traditionen werden auch von modernen Entwicklungen eingeholt - Fundamentalismus - oder sie bestehen nebeneinander weiter - Alternativmedizin-. Es gibt die These der „erfundenen Tradition“, viele Traditionen sind jünger, als man meint. Kilt und Dudelsack sind auch keine alten Traditionen, wie viele meinen. Es sind Zeichen des Protestes gegen die Zwangsvereinigung Schottlands mit England gewesen. In der Philosophie spielt die Tradition kaum eine Rolle. Der Philosoph Karl Popper ordnete sie der Soziologie zu. Andere sehen sie als entgrenzten, generationsübergreifenden Diskurs, um lang währende Wandlungsprozesse, wie z.B. die Aufklärung, verständlich zu machen (Karsten Dittmann).
Es gibt keine einheitliche Meinung zur Tradition. Ethnologie, Philosophie, Theologie, Geschichts- oder Literaturwissenschaften beleuchten unterschiedliche Aspekte.
Aber zurück zur Kartoffel. Wie sie einst die Hungersnöte der Menschen milderte, könnten die Migranten irgendwann die Hungersnöte unserer Rentenkassen stillen. Uns fehlen leider die listenreichen Politiker.
Unser nächstes Thema könnte sein: Gehört die Banane zu Deutschland und wie ist ihr Verhältnis zu unserer Republik.
Wolfgang Claussen
*Stammt als abgewandeltes Zitat aus Friedrich Schillers Drama "Die Verschwörung des Fiesco zu Genua" (III, 4) von 1783. Der "Mohr" in dem Stück ist die Figur des Muley Hassan (Der Mohr von Tunis), der den Verschwörer Fiesco über die neuesten Intrigen informiert. Als Fiescos Mitverschwörer eintreffen, wird Hassan unwirsch aufgefordert, den Raum zu verlassen: "FIESCO. Ich höre Tritte. Sie sind’s. Kerl, du verdientest deinen eigenen Galgen, wo noch kein Sohn Adams gezappelt hat. Geh ins Vorzimmer, bis ich läute.“