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Gedanken über die Vergänglichkeit
Die Seele wiegt ein und einen halben Kilo*
Wir sind alle sterblich, die einen mehr, die anderen weniger. Es wird nicht viel darüber geredet. Dabei sind wir täglich vom Tod, dem Gevatter oder Schnitter, umgeben. Unglücksfälle, Katastrophen oder das natürliche Lebensende, alles wird verdrängt oder auch übermäßig durchlitten. Natürlich wollen wir uns gedanklich nicht ständig mit unserem Ende beschäftigen, aber etwas unverkrampfter könnten wir damit umgehen.
Das Wohin beschäftigt die Menschen, das Woher interessanterweise nicht so sehr. Wenn es ein Wohin gibt, muss es doch ein Woher geben. Wir nehmen uns so wichtig, dass ein einfaches „Hier ist Schluss!“ nicht akzeptabel erscheint.
Die Angst vor dem Tod führt den Menschen schon früh zu einer philosophischen Herangehensweise.
Platon (427-348 v. Chr.) beschreibt ihn als Erlösung von irdischer Pein. Er begründet den Dualismus, die Trennung von Leib und Seele. Schon mit den Gedanken der vorplatonischen Naturphilosophen über das Werden allen Lebens aus bestimmten Urstoffen entwächst die Menschheit den Kinderschuhen der mehr am frühen Götterglauben orientierten Mythologien.
Epikur (341-270 v. Chr.) geht davon aus, dass Naturkenntnis dazu führen werde, die Schrecken des Aberglaubens, der Religion und der Furcht vor dem Tod zu überwinden. Er gilt als Vordenker eines materiellen Weltbildes. „Der Tod ist für uns ein Nichts, denn solange wir leben, ist er nicht da und wenn er da ist, sind wir nicht mehr.“ Carpe diem!
Auch die Stoiker bevorzugen es, nach Erkenntnis der Unwissenheit über den Tod und das Danach, den Schwerpunkt auf die Gestaltung des Lebens im Diesseits zu legen.
Seneca (4 v. Chr.-65 n.Chr.) führt Platons Gedanken fort und „verspricht“ das Ende jeglichen Schmerzes und einen Zustand der Ruhe, wie wir ihn vor der Geburt gehabt hätten. Er vergleicht die Seele mit den Sonnenstrahlen, die uns zwar erreichen, aber an ihren Ursprungsort, die Sonne, gebunden bleiben. Seneca betont das Selbstverfügungsrecht: „Wenn es dir gefällt, dann lebe. Gefällt es dir nicht, dann kannst du wieder hingehen, woher du gekommen bist.“
Anders die Religionen: Sie versuchen Erklärungen über ein Jenseits zu geben, die dann eben geglaubt werden müssen. Zum Beispiel das Weiterleben der Seele. Nur, der Begriff Seele wird nicht genau definiert. Körper, Geist und Seele sind geläufige, aber nicht verstandene Begriffe. In welcher Beziehung sie zueinander stehen, wird nirgends befriedigend definiert. Obwohl sich Philosophen und Religionsvertreter seit je her darüber Gedanken machen.
Die christliche Kirche verspricht den Einzug in das Paradies, wenn die zehn Gebote befolgt werden, sonst droht die Hölle. Paradies und Hölle sind in deren Beschreibung eher vage. In welcher Form wir dort leben könnten, bleibt unklar. Wenn wir nicht folgsam waren, werden wir mit Schmerz und Pein bedroht. Unterschwellig wird Angst erzeugt. Bei den Katholiken ist noch das Fegefeuer zwischengeschaltet, hier leidet man nach seinem Tod noch für die irdischen Sünden, kann von dort aber in das Paradies gelangen. Wer in der Hölle landet, wird dort auf ewig Qualen erleiden.
Derartig bedroht zu werden, fördert die Auseinandersetzung mit dem Tod sicher nicht. Wir tun das, was wir bei unangenehmen Dingen gerne tun: Wir verdrängen. Etwas weniger ichbezogen, eitel und selbstverliebt zu sein, könnte helfen. Eines ist klar, nach dem Tod wird unser Körper nicht mehr sein. Das was Seele ist, kann sich vom Körper trennen und „weiterleben“, oder eben nicht. Wir werden es nie wissen. Und das Entscheidende ist, niemand weiß es. Auch die, die es predigen, wissen es nicht, sie glauben es.
Dass alle möglichen Religionslehren etwas anderes glauben machen wollen, spielt dabei keine Rolle. Die Buddhisten sterben und kommen danach immer wieder, bis sie irgendwann das Nirwana erreicht haben, den ewigen Frieden. Mormonen können durch Erlösung zu göttlicher Würde aufsteigen. Katholiken und Protestanten dürfen im Paradies mitherrschen. Beim Jüngsten Gericht gibt es dann auch wieder einen Körper zur Seele. Einfach so, oder aus Gottes Erinnerung erschaffen. Im Islam gibt es großäugige, vollbusige Frauen und leibliche Genüsse. Das Paradies wird sehr detailliert beschrieben. Es gibt Wein, der nicht betrunken macht, dessen Genuss nicht zu Geschwätz führt. Recht verlockend, auch wenn mir die Rettung der ganzen Welt recht vergnüglich scheint, nach ein paar Gläsern Rotwein. Die Schärfe der Gedanken nimmt mit jedem Glas zu.
Wussten es die Menschen im christlichen Mittelalter nicht besser? Nein, es hatte sich bloß eine Schicht etabliert, die andere unterjochen wollte, die aufgestellten Regeln galten für sie selbst nicht. Damals wie heute versucht man, Menschen dumm zu halten. Schon in der christlichen Schöpfungsgeschichte fliegen Adam und Eva aus dem Paradies, weil sie vom Baum der Erkenntnis genascht haben. Nur die Vorzeichen haben sich geändert. Lesen, Schreiben und Selbsterkenntnis haben uns von einem Joch befreit.
Langsam entwickeln sich nach der absoluten Vorherrschaft der Kirche in Europa ab Mitte des 15. Jahrhunderts neue Gedanken, die sich nicht mehr unterdrücken lassen Humanismus: die Wiederentdeckung der z.T. verbotenen griechischen Philosophen und, begrenzt, des Individuums. Dann die Reformation, aber nicht so konsequent, dass sich z.B. für das Leben der Armen wirklich etwas ändert. Vielleicht wird ein Teil der Angst genommen, indem nicht das Geld für die Lesung der Messen zum Wohle eines lieben Verstorbenen zählt, sondern dessen aufrichtige Reue als Weg in den Himmel führt.
Die Gräuel des Dreißigjährigen Krieges stellen aber bald danach jeden Glauben in das Gute im Menschen in Zweifel, egal ob Protestant oder Katholik, sie wüten alle gleich unmenschlich.
Der Vanitas-Gedanke, die Überlegung, dass alles menschliche Tun und Streben nach materiellem Gut eitel und vergeblich sei, nimmt Gestalt an und aus dem Elend heraus wächst wieder verstärkt die Hoffnung auf ein besseres Jenseits. Eine neue Frömmigkeit schlichter Art entsteht: der Pietismus.
Ihm gegenüber formulieren die Philosophen der Aufklärung den Gedanken der gottgegebenen Vernunft und Descartes stellt die Reflektionsfähigkeit des Menschen sogar als Existenzbeweis auf (Cogito, ergo sum. – Ich denke, also bin ich.).
Die Zeit der Aufklärung hat im 17. und 18. Jahrhundert mit den alten Fesseln gebrochen. Die Vernunft wurde universelle Urteilsinstanz, man wollte sich von der Unterdrückung durch Religion, Offenbarung oder Aberglauben befreien. Immanuel Kant schreibt: „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit.“
Diese Phase findet meines Wissens in den islamisch orientierten Ländern des Nahen Ostens nicht statt. Während noch Lessing die Weisheit und Toleranz des Sultans Saladin in seinem „Nathan, der Weise“ preist, die zumindest während der mittelalterlichen Kreuzzüge das Denken der Ritter aus dem Okzident weit überstrahlt haben muss (Man bedenke die Fortschritte auf den Gebieten der Medizin und der Mathematik!), blieben diese Ländern mit der Zeit irgendwie stehen: feudalistisch und religionsgesteuert. Keine Industrielle Revolution, keine neuen Erfindungen, kein Kampf gegen den Analphabetismus der ärmeren Schichten. Und dann das Öl! –
Aber zurück in den Westen:
Mit dem Verblassen der Dogmen folgt mit Schopenhauer und Nietzsche eine Auseinandersetzung mit der Individualität. 1900 Jahre lang hat das Individuum nichts gegolten, mit Ausnahme einer kurzen Phase in der Renaissance. Die Wissenschaft nimmt sich des Themas an: Statistiken und Tabellen sollen es uns jetzt erklären. Was ist eigentlich, wenn es da einfach nichts zu erklären gibt?
Für einige sind Geist und Seele Widersacher. Seele gibt es als Ganzes oder in zusammensetzbaren Teilstücken, die dann aber nicht überleben könnten. Die Seele ist der Sitz der Triebhaftigkeit, dem Geist fällt die Aufgabe zu, dieses Wollen zu befriedigen, meint der deutsche Philosoph Plessner (1892-1985). Siegmund Freud formuliert: Eros und Destruktion bestimmen unser Leben. Triebhaft sind wir und wir gehen unter, wenn die Triebe aufgebraucht oder falsch fixiert sind. (Der Moslem erhält im Paradies die hundertfache Manneskraft.)
Wenn jemand 80 Jahre alt wird, hat er ca. 29.000 Tage Zeit, sich mit dem Hier und Jetzt zu beschäftigen, jeden Tag danach zu trachten, zufrieden zu sein, Schönes jetzt zu erleben und nicht immer auf später zu verschieben. Hinderlich ist da unser nur materiell ausgerichtetes Leben. Wir „retten die Millionen“, „werden Millionär“ und leben in den Fernsehsoaps das Leben der Schönen und Reichen wie in den Heimatfilmen der Nachkriegszeit, wieder mit Gesang. Wir streben nach materiellem Besitz und neiden anderen denselben. Welch eine Verschwendung im Angesicht des immer drohenden Todes. Das letzte Hemd hat keine Taschen.
Was ist also der Tod? Ende, weiterleben oder wiedergeboren zu werden, braucht man nicht zu fürchten, unser Bewusstsein erfährt von alledem nichts.
Im Mittelalter hat die christliche Kirche unglaublichen Unsinn verbreitet. Zum Beispiel den Ablasshandel, bei dem Angehörige ihren lieben Dahingeschiedenen eine Verkürzung der Zeit im Fegefeuer erkaufen konnten. Die Mormonen beten heute für Tote, um sie mormonisch zu erlösen, ob diese es gewollt haben, oder nicht. Dem Mormonen und republikanischen Präsidentschaftskandidaten Mitt Romney wurden kürzlich unangenehme Fragen gestellt. Bei den „Totentaufen“ sollen Anne Frank und Adolf Hitler darunter gewesen sein. „Auch Romney hat an ‚Totentaufen’ teilgenommen, aber nicht in letzter Zeit“, berichtet n-tv am 17.2.2012.
Wohin uns der neue Glaube an die Wissenschaft führen wird, bleibt abzuwarten. Auch dieser Glaube verlangt Unterwerfung und er hat den Tod im Gepäck. Aus purer Geldgier sterben Menschen. Zu ihrem Gott ist der Mammon geworden.
Sapere aude! Wage zu wissen. Wage, weise zu sein. Oder wie Kant es meint: Habe den Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! Der Sinn des Lebens ist das Leben (Hugues de Montalembert).
Im heutigen Amerika wird versucht die Uhr zurückzudrehen (s. Beitrag zum Kreationismus).
Wolfgang Claussen
*Aus dem Vorspann der Fernsehserie „Bloch“ mit Dieter Pfaff