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Scharfe Kritik an italienischen Ermittlungen bei Schiffsunglücken
Bundesbehörde stellt Zusammenarbeit mit Italien ein
Deutschland beendet mit sofortiger Wirkung die Zusammenarbeit mit Italien bei der Aufklärung der Havarien der Costa Concordia und der Norman Atlantic. Nach Informationen des Radioprogramms NDR Info begründet die Bundesstelle für Seeunfalluntersuchung (BSU) in Hamburg den Schritt damit, sie werde von italienischen Staatsanwaltschaften und Gerichten gehindert, die Unglücke korrekt zu untersuchen.
Ein Untersuchungsbericht sei auf dieser Grundlage nicht möglich. "Unter den derzeitigen Bedingungen macht eine Zusammenarbeit mit Italien einfach keinen Sinn, auch nicht bei künftigen Havarien", sagte der Leiter der BSU, Volker Schellhammer, NDR Info. Die zuständigen italienischen Staatsanwaltschaften und Gerichte in Grosseto und Bari wollten zu den Vorwürfen auf Nachfrage nicht Stellung nehmen. Die BSU kann sich an Ermittlungen beteiligen, wenn bei Schiffsunglücken in Europa auch Deutsche ums Leben kommen. Auf der Norman Atlantic waren vor einem Jahr zwei Passagiere aus Deutschland ums Leben gekommen, auf der Costa Concordia vor knapp vier Jahren 12 Deutsche.
In einem Schreiben an das italienische Verkehrsministerium üben die deutschen Ermittler heftige Kritik an den italienischen Behörden. Die BSU habe das ausgebrannte Wrack der Norman Atlantic nicht korrekt inspizieren können. Damit verstoße Italien gegen EU-Recht. So sei den BSU-Mitarbeitern zunächst verboten worden, Fotos zu machen oder "überhaupt irgendetwas anzufassen", heißt es in dem Schreiben. Bei einer zweiten Besichtigung des Wracks hätten deutsche Ermittler die Decks nicht ungehindert betreten dürfen, auf denen der Brandherd vermutet wird. Auch Zugang zum Maschinenraum oder dem Notdieselraum bekamen sie nicht. "Das ist schlecht, weil wir vermuten, dass das Schiff einen leeren Ersatztank hatte und es deshalb zum Zeitpunkt der Katastrophe keinen Notstrom gab", so Schellhammer. Die italienischen Behörden bestreiten, dass nicht ausreichend Dieselreserven an Bord gewesen seien. Weiter heißt es in dem Brief, der NDR Info vorliegt, dass die BSU bis heute Foto- und Videomaterial der italienischen Küstenwache von Bord der Norman Atlantic "nur in äußerst geringem Umfang zur Verfügung gestellt" bekommen habe. Auch die Audio-Aufnahmen der Blackbox liegen den deutschen Ermittlern nicht vor. "Wir können heute nicht einmal mit Bestimmtheit sagen, wie viele Todesopfer es auf der Norman Atlantic gab, geschweige denn, was die Katastrophe ausgelöst hat", erklärt Volker Schellhammer. Auch könne nicht mehr rekonstruiert werden, wie die Rettungsmaßnahmen verlaufen sind, die Überlebende immer wieder heftig kritisiert hatten. Zudem bemängelt die Bundesbehörde, dass "offenbar unbefugte Personen auf dem Schiff gewesen waren, denn dort noch befindliche PKW waren aufgebrochen und offenbar geplündert worden".
Das Wrack der Costa Concordia konnte nach Ansicht der BSU ebenfalls nicht ausreichend untersucht werden. Deutschland hatte sich 2014 in die Ermittlungen eingeschaltet, nachdem die italienischen Untersuchungen zuvor international heftige Kritik ausgelöst hatten. Die deutschen Experten wollten unter anderem klären, weshalb so viele Opfer in den Fahrstühlen des Kreuzfahrtschiffes ums Leben gekommen waren. Da die Fahrstühle zunächst noch unter Wasser lagen, baten die BSU-Mitarbeiter darum, sie inspizieren zu können, sobald das Schiff trocken liegt. Aus der Presse habe die BSU später aber erfahren, dass das Wrack der Costa Concordia mittlerweile entkernt war und eine Untersuchung daher sinnlos wurde.
Die Costa Concordia war im Januar 2012 nach einem riskanten Manöver vor der italienischen Insel Giglio auf Grund gelaufen. Bei der Havarie kamen 32 Menschen ums Leben, unter ihnen 12 aus Deutschland. Auf der Autofähre Norman Atlantic war im Dezember 2014 ein schweres Feuer ausgebrochen, als das Schiff auf dem Weg von Griechenland nach Italien war. Dabei starben 13 Menschen, von denen zwei aus Deutschland stammten.
(NfI)