Brennpunkt Containerdorf

Bürgerversammlung zum Thema Flüchtlingsunterbringung in Husum

Was bisher noch gefühlt weit weg war, dann mit der großen Aufnahme in Seeth näher rückte, wird jetzt auch in Husum spürbar werden: der Flüchlingsstrom. Sie klopfen nicht direkt an unsere Türen wie nach 1945, aber sie kommen in unsere Stadt. Müde, erschöpft, hoffnungsvoll und viele verwirrt und hilflos. 1500 Menschen, Große und Kleine, Frauen, Kinder, Mütter, Väter,  aber vor allem junge Männer.

Viele BürgerInnen unserer Stadt sind besorgt, verunsichert. Sie haben offene Fragen. Sind von Ängsten und Bedenken geplagt. Viele wollen helfen. Andere sind schon mittendrin und haben Vorschläge und Forderungen an Politik und Verwaltung.

Diesen über 800 Husumern standen gestern Abend im großen Saal des Kongresszentrums in einer gut organisierten Podiumsdiskussion unter Leitung von Bürgervorsteher Peter Empen vier weitere Herren Rede und Antwort:

Stefan StudtBürgermeister Uwe Schmitz vertrat die Stadt, Innenminister Stefan Studt das Land SH, der ständige Vertreter des Landespolizeidirektors Joachim Gutt die Sicherheitskräfte und Dr. Johannes Hörnicke das Landesamt für Ausländerangelegenheiten. Sein Stellvertreter vor Ort, Herr Sönke Lorenzen, wurde vorgestellt. Ebenso Frau Urte Andresen von der Fachstelle für Migration des Diakonischen Werkes Husum. Sie koordiniert die ehrenamtliche Hilfe und steht in engem Kontakt mit der Facebook-Gruppe "Husum hilft Flüchtlingen".

Fachliche Kompetenz, so Empen, sei gefragt. Deshalb hatten Innenministerium, Polizei und Landesamt zunächst das Wort, um die Sachlage darzustellen und Einschätzungen abzugeben.

Hierzu einige Fakten:

Dr. Johannes HöneckeDie Zahl der Flüchtlinge stieg ständig und stagnierte leicht in den letzten Wochen, was am Wetter und an der Abschottung auf dem Balkan liegen kann. Erstaufnahmeeinrichtungen sind in Neumünster und Kiel. Sie haben einen anderen rechtlichen Status als die Landesunterkünfte. Hier widerspricht die Aussage dem verteilten Infoflyer. Die Ziele stimmen, die für die EAE genannt werden. In der Landesunterkunft, welche das Husumer Containerdorf am Buschkamp (250 Schlafcontainer und 500 Funktionscontainer) darstellt, werden aber Menschen leben, die bereits registriert sind und eine erste gesundheitliche Prüfung hinter sich haben. Auch in Leck und Eggebek entstehen Landesunterkünfte.

Das Containerdorf für 1500 Flüchtlinge (1.2.16 - 31.7.17, dann Windmesse) entsteht nach dem Prinzip von Modulen auf dem Messegelände. Diese bedienen die Bereiche Schlafen, Wohnen, Versorgung, Uwe SchmitzSanitär- und Sozialbereiche und sind veränderbar. Das Essen wird von einem Cateringservice (Ausschreibungrinzip wie auch bei allen anderen Leistungen, z.B. Hausarzt und Security) geliefert. 1000-2000€ bezahlt das Land pro Flüchtling an die Gemeinden und trägt damit 90% der Kosten für die Leistungen. Land und Kommunen arbeiten gut zusammen, wohingegen das Bundesamt für Asylverfahren nicht mit der Bearbeitung der Anträge hinterher kommt. Etwa ein halbes Jahr beträgt die Wartefrist allein für den Zeitpunkt der Antragstellung. „... so gut wie gar nichts läuft ..." so Minister Studt. Anders in der Stadtverwaltung. Uwe Schmitz bedankte sich für den besonderen Einsatz und die Mehrarbeit seiner MitarbeiterInnen.

1,5% bis 2% der Flüchtlinge kommen vom Balkan, die anderen aus Syrien, dem Irak und Eritrea.

"Wir fühlen uns diesen Menschen verpflichtet!"

Lobend hervorgehoben wurde neben dem hohen ehrenamtlichen Engagement der Bevölkerung („Es ist unmöglich zu beschreiben, was die alles leisten!") auch die Leistung des DRK in Seeth.

Joachim GuttFür die Sicherheit der Flüchtlinge und der Bevölkerung sprach Joachim Gutt für die Polizei. Mehrfach betonte er im Hinblick auf mögliche Probleme: "Wählen Sie 110, rufen Sie uns an. Wir kommen!" Im Gegensatz zu anderen Bundesländern hätten die Sicherheitskräfte in SH gute Erfolge mit stationären Einheiten erzielt, die nicht zu Sondereinsätzen kämen, sondern vor Ort präsent seien. Die Polizei plane, bis zu 400 neue Kräfte zu verpflichten, soweit die Polizeischulen mit der Ausbildung nachkämen. Da die Westküste schon vorher "chronisch unterbesetzt wäre", zöge man zusätzliche Kräfte aus Ratzeburg u.a. Kreisen heran. Leiden täten durch die Umorientierung die Präventionsarbeit an Kindergärten und Schulen und die Verkehrsüberwachung.

Gewalt komme vor, gefördert durch Enge und Gruppenbildungen, aber "da hätte man mit 3500 Schlange stehenden Deutschen dieselben Probleme...". Probleme zwischen unterschiedlichen ethnischen Gruppen und Religionen seien eher selten, häufig dagegen der "Handyklau" unter einander. Gegen Deutsche treten wenige Delikte auf, hin und wieder Streit mit Körperverletzung.

Beim Radfahren und bei der Mülltrennung klappe es am wenigsten. Das Land übernehme keinen Schadenersatz bei Unfällen durch unsicher fahrende Asylbewerber. Man könne sich bei den Versicherungen informieren. Die notwendige Abschiebung bei Nichtanerkennung der Asylanträge, das sogenannte Rückführungsmanagement falle den Kreisen als Aufgabe zu. Für Kriegsflüchtlinge sei der Flüchtlingsstatus ggf. sogar dem Asyl vorzuziehen. Für sie gelten dann die Genfer Konventionen, so Gutt.

Das alles sei eine Herausforderung, aber keine Katastrophe.

Es folgte die Frage- und Vorschlagsstunde.

Zusammenfassend wurden folgende Bedenken erhoben und Gedanken geäußert:

  • Wird sozial schwachen Husumern die Wohnungssuche erschwert?
  • Wird die soziale Grundsicherung gekürzt?
  • Uneinigkeit der Politiker führe zu Angst und Verunsicherung.
  • Können Polizistinnen sich gegenüber den Männern mit anderem Frauenbild durchsetzen?
  • Was tun die Flüchtlinge, wenn sie hier sind?
  • Was passiert, wenn sie einfach in Geschäften etwas mitnehmen?
  • Welche Gewaltschutzkonzepte gibt es für allein reisende Frauen und Mütter mit Kindern?
  • Müsste man nicht die Bevölkerung mit der Denkweise und den sozialen Gepflogenheiten der Flüchtlinge vertraut machen, um Missverständnisse zu vermeiden?
  • Sollte ein Sorgentelefon eingerichtet werden? Wie wird die Kommunikation mit dem Bürger wach gehalten?
  • Das Land darf NF in Bezug auf Infrastruktur und Krankenhaussituation nicht vergessen,
  • Kann ein ausreichender Stellenschlüssel ermittelt werden, um keinen "Ehrenamtsstaubsauger" entstehen zu lassen, der die Zahl der freiwilligen Helfer durch Überbeanspruchung dezimiere?
  • Wie können die Flüchtlinge selbst mithelfen?

Dazu wurde, was die Fragen betrifft, wie folgt sinngemäß geantwortet:

Der bis dato schon vernachlässigte (soziale) Wohnungsbau werde jetzt per Nachtragshaushalt durch 4 Millionen € vom Land gefördert. Fragt sich, wie viel das bringt. Aber besser als nichts. Auf lange Sicht seien 4x 5000 bezahlbare Wohnungen geplant. Private Vermieter bevorzugten keine Flüchtlinge. Aber viele verdienen gut, indem sie z.B. Ferienwohnungen an die Stadt vermieten, fügte der Bürgervorsteher hinzu.

Eine Kürzung der sozialen Grundsicherung sei nicht im Entferntesten angedacht. Das Land entlaste die Kommunen ausreichend.

Die weibliche Polizei komme gut klar und habe entsprechendes Durchsetzungsvermögen.

Bei Diebstahl oder Belästigung rufe man die vor Ort ja nun extra eingerichtete Polizeistation über 110!

Frauen und Mädchen würden getrennt untergebracht werden, wenn sie ohne Familie reisen.

Für Jugendliche gebe es Jugendbetreuungsmaßnahmen (im Aufbau). Für unbegleitete minderjährige Jugendliche sei das Jugendamt zuständig und würde diese intensiv betreuen.

Ausgebildete und mehrsprachige Flüchtlinge würden als Helfer und vor allem als Übersetzer und medizinische Helfer gebraucht. Andere arbeiteten in den Küchen, beim Wäschewaschen und Reinigen. In Punkto berufliche Anerkennung sei Deutschland zu schwerfällig.

Herr Christophersen vom DRK hielt den Stellenschlüssel (80 Vollzeitkräfte, insgesamt 100 für angemessen, was nicht volle Zustimmung fand.

Ehrenamtler sollten am besten abwarten, bis die in Husum geplanten Strukturen festständen.

Wer weitere Fragen hat, darf sich gerne an die entsprechende Facebookgruppe wenden.

Insgesamt war die Atmosphäre freundlich und positiv. Man hatte das Gefühl, dass die Anliegen der Bürger ernst genommen würden.

Andrea Claussen
Fotos © Wolfgang Claussen


In Kürze finden Sie noch einen Bericht zum Containerdorf.