- Details
- Menschen
Die deutsche Übereifrigkeit
Nichts scheint Deutsche mehr zu charakterisieren als ihre Bemühtheit, korrekt zu sein. Korrekt im Sinne von gründlich, wenn schon, denn schon....wen nimmt es Wunder, bei unserer Geschichte.
Stärker als in unseren mitteleuropäischen Nachbarländern hielten sich die Deutschen Zunftregeln aus dem Mittelalter und damit verbunden neben feudalistischer Tradition für die ländlichen Bereiche auch fest verankerte Moral- und Rechtsvorstellungen in der bürgerlichen Welt der Städte und Gemeinden, die teils in Symbiose mit dem kirchlichen Leben, aber durchaus auch unabhängig davon zu einem stark ausgeprägten Bewusstsein von Sitte und Stand führten. Nur wenige Freidenker, Künstler und natürlich jene, die auf Grund von Reichtum und Macht schon immer „über dem Gesetz“ standen, waren davon „frei“.
Mit der Reformation kam der Aspekt der Eigenverantwortlichkeit und des Gewissens mehr ins Spiel, was allerdings nur bei wenigen dazu führte, mutig aus der Reihe zu tanzen, wenn es darauf ankam. Und in der Epoche der Aufklärung verstärkten sich zudem noch eher die Begriffe von Ernsthaftigkeit und Moral. Kants berühmter Imperativ ruft zu vorbildlichem Verhalten auf. Die Vernunft soll nicht, wie im Nachbarland Frankreich der erste Schritt zur Revolution werden. Während die katholische Kirche immerhin fröhliche Feste, Mummenschanz, und zumindest in den westlichen Grenzregionen eine gewisse Unbeschwertheit bietet, breitet sich während der Aufklärung eine oft zu freudlose Ernsthaftigkeit aus. Puritanische auf der einen und pietistische Sekten auf der anderen Seite treiben mit selbst auferlegten Einschränkungen ein moralisch vorbildliches Verhalten so auf die Spitze, dass sie in der Gesellschaft nicht mehr richtig akzeptiert werden und häufig in der Neuen Welt ihren Freiraum suchen. Zum Teil führt diese Strenge allerdings zu großen wirtschaftlichen Erfolgen, was sich in der Schweiz, in Schwaben und Preußen bereits im Vorfeld der Industriellen Revolution zeigt.
Hierzu trägt die Vorarbeit des großen Friedrich bei, der, ein echter Aufgeklärter, grundlegend wichtige und die Gesellschaft voranbringende Gesetze erlässt. Die Glaubensfreiheit, die Schulpflicht, das Ende der Hexenverfolgung. Er setzt Soldaten ein, um die Bauern den Kartoffelanbau zu lehren und so Hungersnöten vorzubeugen.
Gut, die Medaille hat auch ihre Kehrseite, denkt man an den Siebenjährigen Krieg um Schlesien und die Methoden der Bauernfänger (besoffen machen und ins Militär zwingen). Trotzdem war er einer der Wenigen, die sich bewusst nach bestem Wissen und Gewissen korrekt verhalten haben und damit nach Kants Ideen strebten. Obwohl ja Voltaire sein Erzieher war....
Bereits Friedichs Vater, aber auch er selbst erschufen jenes humorlose und buchstabengetreu korrekte Berufsbeamtentum, das jeder Logik, Flexibilität und Menschenliebe standhält, aber trotzdem von Menschen mit gewissen Verbindungen umgangen werden kann. Eine Säule des Staates.
Komplex und immer komplexer werdend, hat es die deutsche Bürokratie geboren, die trotz aller Lippenbekenntnisse und guter Vorsätze wie eine Krake alles umklammert. Kafka und Zuckmayer offenbaren ihre Spitzen. Wer heute ein Haus bauen möchte, weiß davon zu berichten. Der Lobbyisten allerdings scheint sie nicht Herr werden zu können.
Und damit ist das Stichwort gefallen! Die Deutschen und ihr Streben nach „ political correctness“ via Veränderung der Sprache.
Klar ist, Sprache ist Ausdruck von Bewusstsein. Sprache ist das Mittel, Ideen zu denken und zu verbreiten, Sprache erweckt Liebe, aber auch Aggression, rüttelt auf zu Mitgefühl, aber dient auch dem Mobbing, der Ausgrenzung und Diskriminierung. Sprache schafft Begehrlichkeiten und fördert das Konsumbedürfnis. Sprache ist das Schwert der Populisten, weil sie so schön einfache Antworten für komplexe Probleme damit generieren können.
Mit den Massenmedien, beginnend mit Volksempfänger und Wochenschau, wurde der Deutschen Sprache zuerst von den Nazis so massiv wie nie zuvor Gewalt angetan. Manche Ausdrücke hielten sich im Sprachgebrauch mindestens bis in die 70er Jahre. „Innerer Reichsparteitag, Intelligenzbestie, Brillenschlange, Asoziale“………schlimmere will ich nicht wiederholen, doch klingen sie mir noch in den Ohren.
Frauenfeindlich und rassistisch wollen wir nicht sein. Und da gibt es einige schlimme Beispiele. Aus der Kindheit in den 50ern sind „Mannweib, Flintenweib, falsche Schlange, Rabenmutter“ für die Frauen, für die anderen ethnischen Gruppen und Nationen „Schlitzauge, Rothaut, Sottneger, Spaghettifresser und Kümmeltürke“ durchaus geläufig. Was anders war, darüber machte man sich gerne mal lustig. Die Chinesen nennen uns ja auch „Langnasen“ oder „Bleichgesichter“. Dass das Wort Zigeuner aus dem Mittelalter von „umherziehendem Gauner“ abstammt, war uns allen aber nicht bekannt. Und wenn die Herkunft eines Wortes so vergessen ist, muss man sie dann wieder hervorkramen? Nun, man sollte vor allem die Betroffenen entscheiden lassen, wie sie bezeichnet werden möchten. Viel wichtiger ist es jedoch, ob man ihnen auf Augenhöhe und mit Respekt im Alltag begegnet. Und ob die im Gesetz festgeschriebene Gleichberechtigung und Gleichstellung in der Praxis umgesetzt werden.
Manchmal mag es so erscheinen, als richte sich die gesamte Energie darauf, die Sprache zu verändern, anstatt bei den realen Gegebenheiten anzusetzen. Seit über hundert Jahren fordern Frauen gleichen Lohn für gleiche Arbeit. Wir kriegen das nicht hin! Wie kann das sein?
Stattdessen wurden Gleichstellungsbeauftragte offiziell eingesetzt und die Frauenquote geschaffen. Nicht falsch, aber da, wo drauf ankommt, geht es nicht weiter. Dort, wo es „nichts kostet“, sollen „Lippenbekenntnisse“ guten Willen und politische Korrektheit vorweisen.
Ähnliches geschieht mit dem Klatschen für das medizinische Fach- und Pflegepersonal in der Pandemie... die Gehaltserhöhungen und Tarifverträge lassen auf sich warten.
Zurück zum Vorantreiben der politischen Korrektheit durch neue Wortschöpfungen!
Dass dabei unter anderem die deutsche Sprache „den Bach runter geht“, scheint zunehmend weniger Menschen zu bekümmern, die sich doch sonst so große Sorgen um unsere „Leitkultur“ machen.
Vor etwa einer Woche hörte ich im Deutschlandfunk eine Journalistin die Frage stellen: „…und glauben Sie denn, diesem Problem, ähm, Frau werden zu können?“ Na danke, Genitiv und „Herrin“, wenn schon. Und im Kinderprogramm von NDR Info, beharrte die Sprecherin in einer Märchengeschichte darauf, „Eiszäpfin“ und „Frostbeutelin“ genannt zu werden. War das jetzt Ernst oder Ironie?
Und wie gehen wir mit unserer Geschichte um? Wir lassen sie nicht Geschichte sein, sondern reißen sie aus ihrem Kontext. Natürlich heißt kein neues Gymnasium mehr „Bismarckschule“, und nach den „erfolgreichen“ Kolonialisten des Imperialismus werden zum Glück keine Straßen mehr benannt. Aber muss man deshalb „Bilderstürmerei“ betreiben? Einige Extratafeln mit mahnenden Erklärungen täten es doch auch.
Wie gehen unsere Nachbarländer damit um? Mit Sicherheit entspannter. Zumindest, was den Gebrauch unserer Nationalhymne angeht, sind wir mit Beginn der Bundesrepublik schon sehr korrekt. Und das ist auch gut so. Übersetzt man die anderer Staaten, muss man sich nicht selten „fremd schämen“ für deren blutrünstige und nationalistische Inhalte. Und doch werden sie aus Tradition beibehalten. Da kann man den ollen Kaiser Willem und seinen Bismarck auch im Park lassen. Hauptsache, Hitler und Stalin sind verschwunden!
Es bleibt auf jeden Fall spannend.
Andrea Claussen