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Vom Kommunismus zum Konsumismus
Die Verkindlichung der Gesellschaft
Kapitalismus war das Schreckgespenst vergangener Epochen. Er war überschaubar, man wusste, wer die Kapitalisten waren. Auf der Gegenseite die Arbeiter, die Arbeit wurde noch von Hand gemacht. Der Kapitalismus im eigentlichen Sinne existiert gar nicht mehr. Die Kapitalisten von heute sind global Player - Großkonzerne und Banken, ein undurchschaubares Dickicht. Seit der industriellen Revolution im 19. Jahrhundert hat die Handarbeit mehr und mehr an Wert verloren, Maschinen und Automaten ersetzen den Menschen in vielen Bereichen und dieser Weg ist noch nicht zu Ende.
Nach den Wirtschaftswunderjahren in den 60ern wurde der Blick für Ungerechtigkeiten geschärft. In den 70ern wurden Gesellschaft und Politik auf den Prüfstand gestellt. Alt-Nazis in den oberen Konzern- und Verwaltungsetagen, Atomkraftwerke und Atommülltransporte, Nato-Doppelbeschluss und Schießübungen im Wattenmeer. Tausende beteiligten sich an den Protesten. Es war ein politisches Bewusstsein entstanden, was es genützt hat, ist eine andere Frage.
In den 80ern rückte die Umwelt in den Fokus. 1995 zwang Greenpeace den Weltkonzern Shell in die Knie, indem es die Versenkung der Ölplattform Brent Spar verhinderte. Ein Pyrrhussieg. Heute sind die Meere nur noch riesige Müllhalden.
Haben wir jetzt die Entdeckung der Sinnlosigkeit als Folge der inhaltsleeren Scheinheiligkeit unserer Politiker? Wahlbeteiligungen liegen teilweise nur noch bei 50%. Politiker überlegen sich, ob sie mobile Wahlkabinen in Supermärkten aufstellen sollten.
In der letzten Zeit nehmen die Proteste wieder zu. Sogenannte Wutbürger ziehen durch die Straßen. Geht es ihnen um die globalen Probleme, die Vernichtung unserer Umwelt aus reiner Profitgier? Um den Ausverkauf unserer Lebensgrundlagen, wie z.B. die Privatisierung unseres Wassers? Oder um das Schreckensszenario der totalen Überwachung? Massenprotest vor H&M und Co., als in Bangladesch die Menschen wegen unserer billigen Klamotten verbrannten?
Nein, es geht ihnen um persönliche Besitzstandswahrung, den Schweinemastmastbetrieb um die Ecke, die Windmühlenschatten im Garten, die Hochspannungsleitung oder den Sendemast in der Nachbarschaft. Vehement wird Solidarität für die eigenen Anliegen eingefordert und für andere nicht gegeben. Diffuse Ängste vor Migranten und Flüchtlingen. Deutsche Erstklässler müssen davor bewahrt werden, in arabischer Sprache alphabetisiert zu werden. Der Stammtisch hat Hochkonjunktur, Realitäten spielen überhaupt keine Rolle. Erwachsen-Sein und Reife weichen kindlicher Einfalt.
Peter-Pan-Senioren beherrschen die Laufstege der Welt, neben den Pippi-Langstrumpf-Seniorinnen mit Zöpfchen und Strampelanzügen. Es ist einfach lächerlich.
Die Erwachsenen verkindlichen, posten Bildchen mit Kätzchen und Teddybären in den sozialen Netzwerken und spielen Candy Crush Saga. Allein der Götze Konsum verschafft noch Glücksgefühle. Und das Regeln der Konsumwünsche ist oberste Maxime, bis hin zur Freizeitgestaltung. Wellness- und Wohlfühloasen haben Hochkonjunktur. Vereine bluten aus, weil die Mitglieder nur ihr Anspruchsdenken befriedigt sehen wollen, selbst mit anzupacken kommt nicht in Frage. Es finden sich immer weniger Vorstände, die das alles ehrenamtlich arrangieren wollen oder können.
Schon Schopenhauer (1788-1860) erkannte den Menschen als Egoisten, dessen Antriebsfeder das Dasein und das Wohlsein ist: „... wenn jedem einzelnen die Wahl gegeben würde zwischen seiner eigenen und der übrigen Welt Vernichtung, so brauche ich nicht zu sagen, wohin sie, bei den allermeisten, ausschlagen würde. Demgemäß macht jeder sich zum Mittelpunkt der Welt, bezieht alles auf sich und wird ... z. B. die größten Veränderungen im Schicksal der Völker, zunächst auf sein Interesse dabei beziehen und, sei dieses noch so klein und mittelbar, vor allem daran denken ...“
Daneben ist inzwischen jedes fünfte Kind psychisch auffällig, hat sich zurückgezogen oder ist aggressiv. Im Jahre 2012 lebten in Deutschland 10,65 Millionen Kinder bis 14 Jahre, aber drei mal so viele Haustiere. Möpse und Pinscher, herausgeputzt mit Schleifchen, Halstüchern und rosa Halsbändern, scheinen besonders beliebt zu sein - einfach kuschelig und so niedlich. Von 2000 bis 2014 hat sich die Zahl der gehaltenen Katzen nahezu verdoppelt. Panische Reaktionen, wenn sich der Stubentiger mal für zwei oder drei Tage nicht sehen lässt. Mitleidswellen schwappen durch die Netzwerke.
Wutbürger auf der einen Seite, bereit, sich aufzuregen, Verweigerung von Veränderung auf der anderen Seite. Jeder Sechsjährige macht es genau so.
Wolfgang Claussen