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Esoterik - der blühende Markt
Da steh ich nun, ich armer Tor! und bin so klug als wie zuvor
Die Kirche hat es vergeigt. Die evangelische durch den Versuch, die Religion zu etwas Wissenschaftlichem zu machen, die katholische durch ihre permanente Rückwärtsgewandheit. In einer nur auf Konsum ausgerichteten Gesellschaft fehlen die Gegenpole. Gibt es einen Gott, oder nicht? Völlig egal, etwas Spirituelles, Lenkendes muss her.
Menschen wollen Erklärungen, suchen nach Antworten für das persönliche Scheitern, nach Auswegen. Nur selber machen wollen sie das nicht. Wenn es materiell nicht klappt, kommt sofort der Ruf nach dem Staat, der es gefälligst für unser Wohlbefinden zu regeln hat. Zugegeben, wir haben ein massives Verteilungsproblem, aber es ist „nur“ monetär. Dabei fallen einige durch alle aufgespannten Wohlfahrtsnetze.
In den Internetforen finden sich massenweise Trostsprüche gegen das Gefühl, allein zu sein. „Wahre Freunde sind nur die, die dich trotz all deiner Fehler großartig finden“, „Irgendjemand wird dir die Sonne zurückbringen, und sie wird heller sein als je zuvor“ oder „Keine Zukunft vermag gutzumachen, was du heute versäumst“. Sprüche, die dann tausende Male auf den Facebookprofilen geteilt werden.
So scheint es nicht verwunderlich zu sein, dass die Esoterikbranche einen neuen Boom erfährt. Channeling, Heilung durch Handauflegen, Feng Shui und Engelsheilung.
„Die Okkultismusforscherin Sabine Doering-Manteuffel, Präsidentin der Universität Augsburg, beobachtet ‚eine stille spirituelle Revolution’, die sich über Europa ausbreitet: ‚Hier werden Weltbilder verändert wie in keiner Missionsphase der europäischen Geschichte zuvor.’, berichtet die ‚Zeit Online’ in ihrer heutigen Ausgabe, und weiter: Jeder vierte Deutsche zeigt sich aufgeschlossen gegenüber Wunder- und Geistheilern, gut 40 Prozent der Bevölkerung halten etwas von Astrologie oder New Age, mehr als die Hälfte äußern Sympathie für Anthroposophie und Theosophie – Westdeutsche jeweils mehr als Ostdeutsche.“
Offensichtlich geht es nicht ohne einen wie auch immer gearteten Sinn. Wenn uns kein Sinn mehr vorgegeben wird, zimmern wir uns selber einen. Angebote, aus denen wir uns zurechtpuzzeln können, was zu uns passt, gibt es genug. Auch Sekten versprechen immer wieder Alternativen. Der Esoterikmarkt boomt, und es wird viel verdient in der Branche. Angefangen bei zehntausenden von Büchern über z.B. energenisiertes Wasser zu Leuten, die einem die Steine im Garten zurechtrücken, für ein besseres Chi.
Fehlen da vielleicht nur ein paar Latten am Zaun? So einfach ist die Antwort nicht. Das Phänomen „Esoterik“ zieht sich durch alle Gesellschaftsschichten. Die Frage nach dem Wohin oder Woher, dem Warum, nach dem Sinn, beschäftigt die Menschen seit Urzeiten. Lange Zeit konnte die Kirche vermeintliche Sinnerklärungen geben. Oder die, die daran nicht glauben wollten, mit Drohungen in Schach halten. Die gut besuchten Kirchentage feiern nicht den Glauben, sie stärken das Gemeinschaftsgefühl, das Gefühl, nicht allein zu sein. Ähnliches leistete auch die Schneekatastrophe 78/79, wenn alle das gleiche Schicksal teilen, schweißt das zusammen. Nach dem Zusammenbruch der DDR fielen viele in ein großes Loch. Leid und Mangel, die man gemeinsam teilen musste, waren einfach weggebrochen. Der Westen ist eine Egoistengesellschaft, deren Odem hatte sie kalt erwischt.
Mir fällt die Geschichte von Bruder Heinrich ein, einem Bauern, der seinen Hof ziemlich runtergewirtschaftet hatte. „Ich war immer im Gasthaus und auf dem Tanzboden“, erklärte er mir, und dann, bei einem Gang durch die Felder, sei ihm Jesus begegnet. Der habe ihn aufgefordert umzukehren und sein Haus zu bestellen. Fortan sei es mit seinem Hof wieder bergauf gegangen. Vor da an lief er missionierend durch Husum. Eine Kasuistik, wie der Wissenschaftler sagt, ohne Beweiskraft. Aber darauf kommt es nicht an, entscheidend war, dass Bruder Heinrich einen Weg aus seinem Dilemma gefunden hatte. Allein hätte er es nicht geschafft und das geht vielen anderen auch so.
So ist es nicht verwunderlich, dass unsere freie Marktwirtschaft auch diese Bereiche besetzt. Wie in anderen Fällen auch, muss sie für die angerichteten Schäden nicht aufkommen. Die Sektenbeauftragten können ein Lied davon singen. Die „harmlosen“ Handaufleger und Sinngeber ziehen einem nur das Geld aus der Tasche. Das ist nicht strafbar. Moral und Ethik spielen in diesem Kollektiv keine Rolle. Man erkauft sich Zuwendung.
Schon Goethe ließ Faust als frustrierten Intellektuellen auftreten: „Habe nun ach! Philosophie, Juristerei und Medizin, und leider auch Theologie! durchaus studiert mit heißem Bemühn. Da steh ich nun, ich armer Tor! und bin so klug als wie zuvor; heiße Magister, heiße Doktor gar, und ziehe schon an die zehen Jahr herauf, herab und quer und krumm meine Schüler an der Nase herum – und sehe, dass wir nichts wissen können! Das will mir schier das Herz verbrennen!“ Nachvollziehbar.
Wolfgang Claussen