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Merkel muss weg - oder die Meinungshoheit über den Stammtischen
Ob Merkel nun weg muss oder nicht, ist erst mal nicht entscheidend. Die Diskussion um das Wie ist erheblich spannender.
Menschen sind klug, alle. Auf der Welt ist nichts gerechter verteilt als die Intelligenz. Jeder meint, er habe genug davon abbekommen. Hinzu kommt, dass wir uns überlegen fühlen, wir sind schlauer und liebenswerter als die anderen. Dieses Verhalten, die Psychologie nennt es Überlegenheits-Illusion, treibt uns an, gibt uns Motivation und Hoffnung. Rein rechnerisch kann das natürlich nicht angehen, wenn ich klüger bin als mein Gegenüber und mein Gegenüber sieht sich genauso, kann daraus keine Gleichung werden. Untersuchungen* haben gezeigt, je überlegener sich die Probanden fühlten, desto weniger funktionierte die Kommunikation zwischen zwei Hirnarealen: dem sensomotorischen Striatum und dem anterioren cingulären Cortex. Das erste ist der Speicher für unsere Gewohnheiten, es wird mit unserem Selbstbild in Verbindung gebracht. Das andere fördert kontrolliertes, überlegtes Denken und spielt eine Rolle bei sozialen Informationen. Je stärker die Verbindung zwischen den Hirnarealen geschwächt ist, desto stärker die Neigung sich übertrieben positiv zu sehen. Bei den meisten Menschen ist diese Verbindung geschwächt. Umgekehrt findet man bei Depressiven einen stärkeren Abgleich zwischen den Hirnhälften, hier wird das Selbstbild stark kontrolliert und unterdrückt.
Das bedeutet also, die Überlegenheits-Illusion ist in uns angelegt. Auf der einen Seite ist das gut, es ist die Triebfeder für Hoffnung und Motivation. In direktem Kontakt und Wettbewerb mit anderen Menschen kann eine gewisse Korrektur und bessere Einordnung unseres Selbstbildes stattfinden. Je mehr wir uns aus der Gemeinschaft verabschieden, desto weniger werden wir angehalten über uns selbst zu reflektieren. Und hier bahnt sich dann der neuronale Größenwahn seinen Weg.
Nehmen wir als Beispiel den Aufstieg einer politischen Bewegung. Zuerst ist da eine eigene latente Unzufriedenheit, dann kommen andere hinzu, die ebenfalls unzufrieden sind. Damit hat man jetzt Gleichgesinnte gefunden. In der Gewissheit schlauer zu sein als alle anderen, insbesondere als die politisch Andersdenkenden, entwickelt sich in der Gruppe eine Meinungshoheit. Wie in jeder Gruppe, gibt es auch hier Alphamännchen, die eigene Ziele verfolgen und lenkenden Einfluss auf die Gruppe nehmen. Eine politische Partei wird gegründet und die Überlegenheits-Illusion setzt sich fort. Es beginnt die Postenrangelei, weil ja jeder hier der größte Schlaukopf ist. Manchmal führen die Machtspiele zu einer einigermaßen haltbaren Struktur. Viele Parteien gehen auf diesem Weg wieder unter. Es geht immer weniger um die Sache, sondern mehr und mehr um die Meinungshoheit und wenn man es geschafft hat, zusätzlich um den Machterhalt.
Ein weiterer Punkt kommt hinzu: Das Streben nach einer Ordnung. Und hier finden dann Verschwörungstheorien ihren Widerhall. Von Area 51 bis zur Mondlandung, die ja in einem Studio simuliert worden sein soll. Und hier sind alle Bevölkerungsschichten betroffen, es ist kein Phänomen der „einfachen Geister“. Am empfänglichsten dafür sind Menschen die nach Ordnung suchen, die wenig Kontrolle über ihre eigene Lebenssituation haben. Diese Menschen sind oft zynisch, feindselig, ängstlich und misstrauisch. Aber auch andere können davon betroffen sein, der Weg von der Politikverdrossenheit zur Verschwörungstheorie ist fließend.
Weder die Überlegenheits-Illusion, noch die Verschwörungstheorie lassen sich von Fakten beeinflussen. Es geht allein um die Meinungshoheit über den Stammtischen. Neben den politischen Feldern sind die sozialen Medien wie facebook und twitter Verstärker dieser Verhaltensweisen. Hier sitzen die Menschen allein vor ihrem Bildschirm und können aus dem Schutz der vermeintlichen Anonymität handeln. Eine soziale Einbindung durch andere Menschen findet nicht mehr statt. Ein Abgleich zwischen Fakten und beeinflussender Meinung wird immer schwieriger. Aber das ist egal, wir sind ohnehin schlauer als die, wir wissen immer was richtig ist, insbesondere dann, wenn es unsere eigene Meinung und unsere Theorien bestärkt.
Merkel muss weg. Kann sein, aber ohne eine qualifizierte Alternative? Wir brauchen politische Diskussionen, kein Stammtischgeschwätz. Und daran dürfen sich die „etablierten“ Parteien auch gerne wieder erinnern. Populismus können die Schreihälse von der Straße besser.
Wolfgang Claussen
*Makiko Yamada (National institute of Radiological Science, Chiba) et al., Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS), doi: 10.1073/pnas.1221681110