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Das schleichende Gift der Angst
Die Todesfratze des Krieges. Islamisten bomben sich in unser Gehirn. Der Terror ist in Deutschland angekommen, über den Umweg Istanbul. Aber Deutschland war vielleicht gar nicht gemeint. Und dann kommen die Nordafrikaner und die klauen und grabschen unsere Frauen an. Die Medien erklären uns unsere Welt.
Angst haben wir nicht, wir schaffen das. Unsere Lebensart, unsere Freiheit lassen wir uns nicht nehmen. Gut, da wird mal ein Fußballspiel abgesagt, ein Rosenmontagsumzug findet nicht statt. Flüchtlinge stehen jetzt unter Generalverdacht. In Bornheim (Nordrhein-Westfallen) dürfen sie nicht mehr in das öffentliche Schwimmbad, wegen sexueller Belästigungen, die aber keine Straftaten waren. Sind sexuelle Belästigungen nur Ordnungswidrigkeiten?
Andererseits finden die deutschen Politiker auch neue Freunde, nach den Anschlägen von Istanbul stehen sie jetzt fest an der Seite der Türken. Menschenrechte sind dort kein Thema. Dort findet der IS wohl immer noch Unterschlupf, unliebsame Journalisten und Flüchtlinge werden in den Knast geschickt und die Kurden werden immer noch bombardiert, möglicherweise zielsicherer mit Hilfe von Bildern, die die deutschen Tornados dort gemacht haben. Und ob die zehn deutschen Toten überhaupt gemeint waren, ist ja auch noch „völlig unsicher“. Andere sehen den Terror jetzt in Deutschland angekommen. Je suis Deutschland.
In Deutschland werden geschätzt jährlich 200.000 Kinder Opfer von Gewalt durch Erwachsene. 2014 haben das über 100 Kinder nicht überlebt. Allenfalls eine Randnotiz. Diese Täter sind unter uns, unsere freundlichen Nachbarn. 231 nachgewiesene Übergriffe gegen Kinder bei den Regensburger Domspatzen, bis hin zu Vergewaltigungen. Schätzungen gehen davon aus, dass jedes 3. Kind unter körperlicher Gewalt litt. Das interessiert kaum jemanden. Die unrühmliche Rolle der Kirche, auch in anderen Fällen, ist seit Jahrzehnten kein großes Thema für die Medien.
Auf dem Münchner Oktoberfest werden werden nach Polizeischätzungen 200 Frauen vergewaltigt. Ohne Medienecho, es waren wohl keine ausländischen Täter dabei. Dann kann man dort auch ohne Angst hingehen.
Anders ist es bei den Flüchtlingen. Es werden immer Gruppen gebraucht, auf die man eindreschen kann. Bis zur Flüchtlingsdebatte waren es die Hartz IV-Empfänger, sie wurden als arbeitsscheue Sozialschmarotzer verunglimpft. Aber Fremdenfeindlichkeit eint sie alle. Alles Fremde eignet sich besser, bedient die landläufigen Vorurteile.
Der rechte Rand wird immer größer, streckt seine gierigen Finger in die Mitte der Gesellschaft. Die untauglichen Versuche der Politiker, erst einmal den Kopf in den Sand zu stecken, befördern rechte Tendenzen, die schon immer da waren. Köln hat mal wieder gezeigt, dass man den Deckel nicht auf dem Topf halten kann. Vertuschung geht in Zeiten des Internets immer nach hinten los. Es waren Asylsuchende, die dort zu Tätern geworden sind, sie haben geklaut und Frauen belästigt. Durch Vertuschung einerseits und Aufbauschung durch die Medien wird ein unerträgliches Klima der Verunsicherung erzeugt. Fakten spielen dann keine Rolle mehr. Es geht um das dumpfe Gefühl der Verunsicherung, das selbst in der hintersten Dorfecke ankommt, in der man noch nie einen Flüchtling gesehen hat. Wenn die Polizei in vorauseilendem Gehorsam mitmacht, in der Meinung, die Debatte durch Verschweigen klein zu halten, verliert sie das Vertrauen. Die Polizei hilft also nicht. Was bleibt? Bürgerwehren? Muss man das Gesetz jetzt in die eigene Hand nehmen, nachdem der Staat sein Gewaltmonopol nicht mehr ausübt?
Anders als in den sechziger und siebziger Jahren, als der „Feind“ das Großkapital war, sind es jetzt die Schwächsten der Gesellschaft. Jemand muss die Schuld haben, woran auch immer. Wir können doch nicht für unser Leben selbst verantwortlich sein. Und Besitzstände müssen verteidigt werden, selbst wenn sie durch die Schwächsten in unserer Gesellschaft nicht bedroht sind. Armut, Kinder- und Altersarmut entstehen nicht durch Hartz IV-Empfänger oder Flüchtlinge, obwohl sie perfekte Schuldige abgeben. Zig Milliarden zur Rettung von Konzernen und Banken und kein Geld für Polizei, Pflegepersonal oder Kindergärten. Die Rentenkassen werden verfrühstückt. Die Beamtenpensionen sind eine berechenbare Größe, die Rücklagen dafür werden lieber in sinnlose Prestigeobjekte gesteckt, um dann mit Entsetzen festzustellen, dass sie weg sind. Muss man die Altersgelder eben kürzen. Dass sich die Baukosten für alle Riesenobjekte während der Bauphase vervielfachen bleibt ein Mysterium, an dem niemand die Schuld trägt. Weil Politiker grundsätzlich an nichts Schuld haben. Gelegentlich rollen untergeordnete Köpfe. Und dann wundert man sich mal wieder, dass die Leute mit den einfachen Antworten einen solchen Zulauf haben. Und es werden mehr werden. Die Politik rudert zurück, beugt sich dem Druck der stumpfsinnig grölenden Straße. Solange es nur die Ärmsten und Schwächsten trifft, scheint das ja in Ordnung zu sein.
Das schleichende Gift der Angst, bei den Politikern vor dem Machtverlust und bei vielen Menschen vor dem Fremden. Eine freie, weltoffene Gesellschaft sieht anders aus.
Wolfgang Claussen