ÜBER DIE DUMMHEIT

Gedanken zur Lage

Der Menschheit ganzer Jammer fasst mich an?

Schopenhauer (1788-1860) hat mal gesagt: „Gott liebt die dummen Menschen, warum hat er sonst so viele davon gemacht?“  In §76 seiner Neuen Paralipomena legt Schopenhauer im Falle seines Todes das Bekenntnis ab: „ ..., dass ich die deutsche Nation wegen ihrer überschwänglichen Dummheit hasse und mich schäme, ihr anzugehören.“.

Für José Ortega y Gasset gehört der Zusammenstoß mit der Dummheit zu den qualvollsten Leiden des Lebens.

In Meyers Universallexikon, erschienen 1905, ist zu lesen:

„Dummheit, die mangelhafte Fähigkeit, aus Wahrnehmungen richtige Schlüsse zu ziehen. Dieser Mangel beruht teils auf Unkenntnis von Tatsachen, die zur Bildung eines Urteils erforderlich sind, teils auf mangelhafter Schulung des Geistes oder auch auf einer gewissen Trägheit und Schwerfälligkeit im Auffassungsvermögen. Jedenfalls ist die D. ein Fehler, der noch innerhalb der Grenzen der normalen Seelentätigkeit liegt und deshalb von der krankhaften Geistesschwäche oder dem ausgesprochenen Mangel an richtiger Gedankenverknüpfung unterschieden werden muss, wie er der Idiotie oder dem Blödsinn zukommt.“

Meyers Großes Konversationslexikon soll erschienen sein, um die „stillschweigend vorausgesetzte relative Dummheit der sogenannten höheren Bevölkerungsklassen zu vermindern“, schreibt Horst Geyer in seinem Buch „Über die Dummheit“.

So gesehen ist es dann nicht weit bis zum Selbstbetrug. Zum Beispiel ist eine Folge der Pisastudien, dass man sich neue Gedanken über das Bildungsniveau macht und jetzt Diktate als Klassenarbeiten in der Orientierungsstufe der Gemeinschaftsschulen nicht mehr obligatorisch sind. Nicht vorhandene Fähigkeiten sollen sich durch das Weglassen verbessern?

Dinge, die unserem Selbstbild schaden, werden verdrängt. Unschönes wird weiter in die Vergangenheit geschoben. Wir verdrängen und schaffen neue Wahrheiten. „Ich habe bei meiner Doktorarbeit nicht abgeschrieben“, ist irgendwann die ganze Wahrheit.

Der Evolutionsbiologe Robert Trivers in Zeit-Online vom 10.12.2011:

„Fatalerweise verstärken sich solche unbewussten Selbsttäuschungsprozesse massiv, wenn wir in Machtpositionen geraten. ‚Macht korrumpiert unsere mentalen Prozesse beinahe sofort’, diagnostiziert Trivers und zitiert eine Reihe von Experimenten, die zeigen: Schreibt man Menschen Macht zu, beginnen sie postwendend, weniger auf ihre Umgebung zu achten und überzeugter von der eigenen Position zu sein. Damit einher geht die Neigung, sich moralisch überlegen zu fühlen (‚sonst wäre man ja wohl kaum an der Macht’) und das Verhalten anderer kritischer zu beurteilen.“

Selbsttäuschung trifft auf Dummheit, ein unheilvolles Duo. Und das völlig abgehoben, in einer Welt, die wir ohnehin nicht verstehen, die eigene Regeln und Werte hat. Wo Statussymbole die Zugehörigkeit signalisieren: Uhren, Taschen, Schuhe und der aufgeknöpfte untere Knopf am Jackettärmel.

Und wenn es vorbei ist? Von Bötticher tritt heulend ab, zu Guttenberg fühlt sich falsch verstanden, Köhler ist beleidigt, nur Rudolf Scharping (der Planschminister der bunten Gazetten) geht nach seinem Rücktritt „mit erhobenem Haupt und geradem Rückgrat“.

Clinton sagt, Oralverkehr sei kein Sex. Was sagt Strauß-Kahn? Berlusconi wird mit Sicherheit nichts sagen. Willi Brandt hat seinerzeit auch nichts gesagt.

„Der Menschheit ganzer Jammer fasst mich an“, sagt Goethe (Faust 1).

Wolfgang Claussen