Lebensbilder in musikalisch-experimentellem Rahmen

Louise heißt eigentlich Anneliese und wird auch so gerufen. Sich selbst hingegen hat sie Louise getauft. Ich kenne sie schone einige Jahre, diese Romangestalt der Husumer Autorin Ingrid Quack, habe sie kapitelweise heranwachsen sehen.

Ein Kind, das eigen ist, anders. Ein sensibles Mädchen, das nicht den Erwartungen seiner bäuerlichen Umgebung entspricht. Nordrhein-Westfalen in den Fünfzigerjahren. Kontrastfigur ist die angepasste Schwester. Verständnisvoll nur der Grundschullehrer. Die Mutter verhärmt und überlastet. Der Vater wird abgewiesen und Louise hat Angst vor seinen Blicken und Berührungen. Sie bleibt lange ein verträumtes kleines Mädchen, das sich Verstecke baut, zur Großmutter flüchtet, deren weicher Massigkeit, den süßen Milchsuppen und den Märchen. Mit ihrer versponnenen und poetischen sinnlichen Naturwahrnehmung können die Eltern nichts anfangen. Das Paradies liegt gleich nebenan, allerdings hinter einem Maschendrahtzaun, dem Ackerwinde das Prosaische nimmt.

Immer wieder gelingt es Ingrid Quack, den inneren Blick der Zuhörenden durch diesen Zaun zu lenken, die Schwere des Federbetts als Schutz vor den Katastrophen der Welt zu spüren, die Zartheit der abgefallenen Blütenblätter des Mohns zu ertasten und die Süße der reifen Himbeeren zu erinnern. Mit allen Sinnen.

Ich hatte es besser mit meinem Elternhaus getroffen als Louise, aber auch ich war verträumt, langsam und anders. Andere mögen wieder neue Aspekte für sich in der Lektüre der Situationen aus Louises Leben finden, die sich als Bilder im Gedächtnis einnisten. Lebensbilder, deren Prägnanz durch die szenische Vortragsweise der Autorin verstärkt werden, durch den Dialekt, wenn die Eltern reden, der alles umso glaubhafter und lebendiger macht.

Zudem erfanden die Musikerin Claudia Sokollek und Ingrid Quack, die sich auch im Bereich Theater seit längerer Zeit weiterbildet, eine absolut harmonische Fusion der Textabschnitte und musikalischer „Denkpausen“, die Claudia Sokollek mit Cello und Stimme sehr einfühlsam untermalte und die sich von Ausschnitten aus irischen Love Songs über launiges, ganz kurzes Pizzicato hinzogen zu einer abschließenden Fantasie über das Kinderlied „Auf der Mauer, auf der Lauer…“ mit überraschendem neuen Text und wunderbarer Sopranstimme gesungen.

Die zahlreich erschienen Gäste wurden von Therese Chromik im Namen des Vereins Euterpe begrüßt. Nicht im Kaminzimmer des Schlosses vor Husum, so wie üblich, konnte die Lesung stattfinden. Die ca. 80 Gäste durften in den Rittersaal umziehen, wo man dann bequem Platz fand und alle dem etwa anderthalbstündigen Vortrag mit Freude, teilweise auch mit Überraschung ob dem sehr ehrlichen Umgang mit der Sinnlichkeit der erwachsenen Louise, folgten und mit langem Applaus würdigten.

Andrea Claussen