Englische Hündjes

Ein wenig Seemannsgarn?

Wenn man in Tönning am Hafen bummelt, kann man in der Deichstraße zwei Hündchen aus Steingut in einem Fenster stehen sehen. Früher sah man solche Hundefiguren öfter in Hafenstädten. Bis in die 60er Jahre des letzten Jahrhunderts waren sie in fast jedem Haus eines Seefahrers zu finden.
Ab Mitte des 19. Jahrhunderts bis in die 60er des 20. Jahrhunderts wurden diese Hunde in Staffordshire in England in großen Mengen hergestellt. Sie wurden gerne von Seeleuten als Mitbringsel für zu Hause gekauft.

Es gab eigentlich keinen proletarischen Einrichtungsstil. Der Einrichtungsstil der Arbeiter richtete sich nach dem der Bürger, die sich an den Großbürgern orientierten, die wiederum den Adel imitieren wollten. So kaufte mein Großvater 1906 von seinem ersten Geld eine Taschenuhr, nicht weil er die genaue Zeit wissen musste, sondern weil ein Bürger eine hatte. Und ein einfacher Seeman, der sich keinen Salon leisten konnte, kaufte sich ein Vertiko für die Stube, auch wenn es nicht sonderlich praktisch war. Während im Salon der Kamin mit edlen Porzellanfiguren geschmückt wurde, zierten das Vertiko zwei „englische Hündjes" aus Steingut.

Gerücht oder Wahrheit?
Die viktorianische Zeit in England war eine sehr prüde Zeit. Prostitution war strikt verboten. Es soll aber freundliche Frauen gegeben haben, die solche „Hundjes" recht teuer verkauften, dafür aber die Kunden besonders liebevoll behandelt haben. So kam es, dass die Seeleute ein Andenken mitbrachten, bei dem sie an etwas ganz anderes dachten.
Die Frauen der Seeleute sollen aber auch keine Unschuldsengel gewesen sein. War der Mann zu Hause, standen die „Hundjes" auf dem Vertiko, wenn er aber auf See musste, standen die „Hundjes" im Fenster und schauten dem Seemann traurig hinterher. So wusste der Liebhaber genau Bescheid, wann er kommen konnte.

Ich meine allerdings:
Diese Figuren waren ein industrielles Massenprodukt, das zu hunderttausenden hergestellt wurde. Bei allem Respekt vor der immer stärker werdenden Potenz der kaiserlichen Handelsmarine, das kann nicht der normale Vertriebsweg gewesen sein.
Außerdem wusste in einem kleinen Hafen wie Tönning jeder, wer wann auf See oder an Land war. Eine Seemansfrau musste das nicht mit geheimen Zeichen signalisieren. Die Stellung der „Hundjes" in der Deichstraße haben jedenfalls keinerlei Bedeutung!
Vermutlich ist dieses Gerücht der Grund, dass die Figuren heute so selten sind. Spätestens als in den 60ern Omas Stube ausgeräumt werden musste, hieß es:
„Schmied bloss wech den Schied, die oll Puffhunde mach ick nich hem".

Ulf Weise