Die Älteste Stadt nördlich der Alpen

Auf Einladung des Fördervereins Archäologie Schloss Gottorf e.V. im Rahmen des Johanna-Mestorf-Kollegs stellte Professor Dr. Dirk Krausse (Landesamt für Denkmalpflege, Stuttgart) am 10. 12. 2019 seine aktuellen Forschungen vor.

Zwei weitere Veranstaltung der Winter-Vortragsreihe des Museums für Archäologie auf Schloss Gottorf unter dem Motto „Quantensprünge – wo die Archäologie Geschichte schrieb“ folgen am 14.1.20 und am11.2.20.  Das vorgestellte Grabungsprojekt ist die „Heuneburg“, eine frühkeltische Siedlung mit von etwa 5000 Einwohnern, für damalige Verhältnisse eine Großstadt. Ca. 580 v.Chr. wurde auf einem Höhenzug an der Donau in der Nähe von Sindelfingen auf einem Natursteinfundament eine Stadtmauer aus Trockenlehmziegeln errichtet in einer Art, wie sie sonst nur in der Levante (Mittelmeerküste von der Türkei bis Israel) gefunden wurde. Nach einem Großbrand 530 v.Chr. wurden die Reste der Mauer dann mit der damals landesüblichen Holz-Stein-Erde-Architektur überbaut. Frühe archäologische Grabungen erfassten weder den ganzen Bereich, noch die tatsächliche Bedeutung dieses Siedlungsgebietes. So wurden die Wälle und Gräben der Befestigungsanlagen zunächst fälschlich der mittelalterlichen Überbauung zugeordnet. Erst neuerliche Grabungen unter Einsatz modernster Techniken in den Jahren 2003 bis 2014, ein Langzeitprojekt über 12 Jahre, machten die tatsächliche, weit über die befestigte Stadt hinausreichende Anlage und die Vernetzung mit weiteren Stätten im Umkreis deutlich. Ein glücklich geführter Suchschnitt durch die Wälle legte ein Stadttor in Trockenziegelbauweise frei. Balken aus dem Wallgraben, vermutlich Reste einer eingestürzten Brücke, erlaubten die dendrochronologische Datierung der Anlage auf 622 bis 584 v.Chr.

Die Sichtachse durch eines der Tore in Richtung der Schwäbischen Alb lenkte den Blick mittig durch vier größere Hügelgräber auf eine von Menschenhand umgestaltete Höhe, die sogenannte Alte Burg. Diese war archäologisch kaum untersucht worden, da man die Anlage für eine Fluchtburg aus der Zeit der Ungarnüberfälle gehalten hatte. Erneute Grabungen auf der Alten Burg ergaben einen apsidialen Grundriss mit umgebenden aus dem Naturgestein herausgearbeiteten Gräben, aufgeschichteten Mauern und einem stehengelassenen „Podest“. In dessen Mitte hatten Grabungen bereits im 19. Jahrhundert ein 6 m tiefes Schachtgrab mit 6 männlichen Skeletten freigelegt, die heute jedoch verschollen sind. Bei neueren Grabungen fanden sich Knochenreste eines weiteren Mannes. Eine Straße führte zu der Anlage hinauf und eine weitere dicht an ihr vorbei in Richtung Alb. Die Anlage war mit Sicherheit keine Siedlung, da kein Wasser vorhanden war.  In ihrer Grundstruktur ähnelt sie eher einem römischen Circusoval mit einer Spina (Mittelachse) und wurde sehr wahrscheinlich als „Hippodrom“ für Pferde- oder Wagenrennen genutzt. Verschiedene Funde untermauern diese Deutung: in mehreren Gräbern wurden reich verzierte vierrädrige Wagen wurden als „Beigabe“ gefunden, in einem reichen Frauengrab bei Unlingen entdeckte man eine in der keltischen Kunst seltene kleine bronzene Reiterfigur (vgl. Foto), den ersten nördlich der Alpen gefundenen Stirnpanzer eines Pferdes sowie an eine Pektorale erinnernden Glöckchenschmuck eines Pferdegeschirrs. Dieses Frauengrab, das wie viele andere im Boden verborgene Siedlungsreste mithilfe der Luftbildarchäologie ausgemacht werden konnte, wurde in einmaliger Weise geborgen. Tiefbauingenieure lösten das große in einer Holzkammer liegende Grab mit aufwendiger Bohrtechnik aus dem Boden und hoben es, noch gestützt von dem umgebenden Erdreich, als 80 t schweren Block auf einen speziellen Tieflader. Der Block wurde als überbreiter Schwertransport zum Universitätsgelände gefahren und dort mit einer Halle überbaut. Jetzt konnten die Archäologen - vor dem Winterwetter geschützt und auf Arbeitsbrücken über dem Grab liegend – die Schichten millimeterweise abtragen und feinste Untersuchungen durchführen. Auf diese Weise konnten kleinste Funde geborgen werden, die mit herkömmlichen Methoden übersehen worden wären. Auch komplizierte Bergungen, z.B. von Keramikschmuck, der durch Wassereinbrüche mit den Holzplanken der Kammer fast unlösbar verklebt war, konnten so sicher durchgeführt werden. Nach den Funden im Grab zu urteilen wurde eine sehr vornehme Frau bestattet, die im Alter von etwa 35 Jahren verstorben war. Zwei prächtig verzierte 12 cm große Kahnfibeln wurden nachweislich auf der Heuneburg gefertigt, da dort die Werkstatt eines Goldschmieds mit vergleichbaren vorgefertigten Drähten und Bändern ausgegraben wurde. Perlen aus baltischem Bernstein, Armreifen aus südenglischem Ölschiefer und italienische Fibeln mit Bernsteinperlen sprechen von regen Handelsverbindungen. Ein bisher ungelöstes Rätsel ist der Befund, dass der Schädel und der Unterkiefer der reich mit kostbarstem Schmuck ausgestatteten Frau vom Rumpf getrennt an anderen Stellen der Grabkammer gefunden wurden, denn das Grab wurde weder aufgebrochen noch beraubt. Als eine Erklärung wird diskutiert, dass der Frau möglicherweise magische Kräfte zugeschrieben wurden und sie darum nicht wiederkehren oder ihr Kopf doch zumindest am Sprechen gehindert werden sollte.

Ebenso ist die Frage noch offen, ob es sich bei dem etwa dreijährigen Mädchen, das in einem dicht benachbarten Grab mit identischem, aber kleineren Kahnfibeln bestattet wurde, um die Tochter der vornehmen Dame gehandelt haben könnte.

Dieser Bericht über den Vortrag erhebt keinen Anspruch auf Wissenschaftlichkeit oder Vollständigkeit. Er soll den Lesern lediglich ein Bild vermitteln, wie spannend Archäologie heute sein kann und wie viel noch im Verborgenen liegt.

Andrea Claussen