Alt-Katholiken im Nordstrander Dom

Ungläubige, Zweifler und andere gute Christen

Der WeihnachtshaseGeorg Reynders (60), verheiratet, zwei Kinder und seit 18 Jahren katholischer Pfarrer im Theresiendom auf Nordstrand. Wie kann das angehen, wie ist es dazu gekommen? Es sind die Alt-Katholiken, die hier residieren. Ich fahre also nach Nordstrand um nachzufragen. Schon bei der Ankunft fällt mir das Schild am Nebeneingang auf: "Weihnachtsfreie Zone". Feiern die etwa nicht Weihnachten? Neben der Eingangstür ein Hase mit Laterne. Es ist Weihnachtszeit, was hat der Hase da verloren? Dazu erklärt mir Pfarrer Reynders, das sei ein Weihnachtshase. Das kann ja heiter werden.

Wie kam der Dom auf die Insel?

Der Theresiendom von 16621634 wurde Strand, eine damals große dänische Insel, von einer schweren Sturmflut heimgesucht, viele tausend Tote waren zu beklagen. Neue Deiche mussten gebaut werden. 1652 wurde mit niederländischen Deichbauern darüber ein Vertrag geschlossen. Arbeiter aus Flandern, Brabant und den Niederlanden, allesamt Katholiken, kamen mit ihren Familien auf die Insel. 1654 erhhielten sie von den Dänen die Erlaubnis zur Ausübung ihrer Religion. In Dänemark war zu der Zeit die lutherische Religion Staatsreligion. Die Seelsorge übernahmen zunächst die Oratorianerpriester aus Mecheln. 1683 wechselte die Gemeinde zum Erzbistum Utrecht.

1723 kam es zu einer Spaltung zwischen dem Erzbistum Utrecht und Rom. Eine Folge des Jansenismus, einer innerkatholischen Widerstandsbewegung, hauptsächlich in Frankreich. Mit Auswirkungen auf das Erzbistum Utrecht. Utrecht wurde exkommuniziert, hatte hier aber die vom Papst zugesprochene Pfarrgemeinde, die es auch behielt.

"Auch der Papst konnte nichts wollen, er hatte die Pfarrgemeinde 1683 dem Erzbistum Utrecht zugeschlagen", sagt Reynders.

Warum ist das ein Dom?

Der Begriff Dom heißt nur: Domus Dei - Haus Gottes. Früher gab es das sogenannte Oratorium auf Nordstrand, das Wohnhaus der Kapitelgemeinschaft der Oratorianer. Die Gottesdienste wurden in der Hauskapelle abgehalten. Diese wurde mit dem Zuzug der Deichbauer zu klein. So wurde die neue Kirche gebaut. Diese Kirchen nannte man Domkirchen oder Stiftskirchen. So ist Nordstrand zu seinem Dom gekommen.

1730 bis 1866: Der Nordstrander Kirchenstreit - Was hatte es damit auf sich?

Da ging es um die Frage: Wer hat auf der Insel das Recht, katholische Gemeinde zu sein? Die Gemeinde spaltete sich in zwei Lager. Die einen sagten, man sei nur mit dem Papst katholisch. Die Gerichte hatten aber immer für die Utrechter entschieden. Die waren zwar exkommuniziert, hatten aber an ein Konzil appelliert und solange dieses nicht entschieden hatte, waren sie nach wie vor als katholisch anzusehen. Weil denen die Gemeinde gehörte, blieb die Gemeinde auch bei Utrecht. Das ganze ging bis 1866, Nordstrand inzwischen preußisch, erteilte der römisch-katholischen Gemeinde die Erlaubnis, eine eigene Kirche zu bauen. Damit war der Religionsfrieden auf der Insel hergestellt.

Die Geschichte der Alt-Katholiken?

Innenansicht des DomsEine andere Geschichte ist die der alt-katholischen Kirche, sie ist erst 1870 entstanden. In der Folge des ersten vatikanischen Konzils. Es ging um die oberste Rechtsgewalt und die Unfehlbarkeit des Papstes. Dagegen gab es Widerspruch, viele konnten das nicht akzeptieren, sie sagten, das sei etwas Neu-Katholisches. Es sei mit dem Papsttum etwas Neues in den katholischen Glauben eingefügt worden, sie wollten am alten katholischen Glauben festhalten. Daher der Name Alt-Katholiken.

Mehr als 50 überwiegend deutschsprachige Bischöfe waren vor der Abstimmung abgereist, weil sie das niemals akzeptieren würden. Sie wurden aber unter Druck gesetzt. Das Problem: Wenn ein Bischof exkommuniziert wurde, stand er auf der Straße, mittellos. Es blieb kein Bischof übrig.

Übrig blieben hauptsächlich die Theologieprofessoren, die auch den Nachweis führten, dass das nichts Katholisches ist. Katholisch heißt eigentlich allumfassend, alle einschließend. Das, was alle angeht, soll auch von allen entschieden werden. Katholisch ist das, was immer, überall und von allen geglaubt worden ist. Und das trifft auf diese beiden Dogmen nicht zu. Es gab Auseinandersetzungen mit der Kirchenbildung 1873 als katholisches Bistum. Viele, die sich den Alt-Katholiken angeschlossen hatten, z.B. Handwerker, bekamen von der römisch-katholischen Kirche keine Aufträge mehr und kehrten zurück.  Von damals 80.000 Mitgliedern der Glaubensgemeinschaft sind es heute noch 15.000.

Zusammenschluss von Rom getrennter Kirchen

Alleine als Kirche können wir nicht katholisch bleiben. Wir laufen Gefahr, dass wir Dinge tun, die nicht mehr katholisch sind. 1889 in der Utrechter Erklärung hat man sich zusammen geschlossen, als Kirchengemeinschaft von Rom getrennter Kirchen. Bedingt durch die Kirchengemeinschaft hat man gesagt, Nordstrand liegt in Preußen, Bonn ist wesentlich näher als Utrecht, also können wir diese Gemeinde auch von Utrecht nach Deutschland übertragen. 1920 wurde diese Gemeinde in das alt-katholische Bistum Bonn übergeben.

Heute gibt es keine Berührungsängste mehr, im Februar 2011 haben wir die römisch-katholische Kirche für unseren Gottesdienst benutzen dürfen, weil unsere Kirche renoviert wurde.

Die Unterschiede

Pfarrer Georg Reynders, verheiratet, zwei Kinder. Der Rheinländer war ursprünglich Pfarrer der römisch-katholischen Kirche. Bereits 1878 war der Zölibat in der alt-katholischen Kirche abgeschafft worden.

Worin liegen die Unterschiede der beiden katholischen Kirchen, die Beichte?

Eine Verpflichtung zur Beichte gibt es nicht, die Möglichkeit besteht aber. 1873 wurden die Kirchengebote abgeschafft, die Verpflichtung, an jedem Sonn- und Feiertag die heilige Messe zu besuchen. Jeder sollte vor seinem Gewissen prüfen, ob das, was er macht, ob sein Lebensweg oder seine Ziele in Ordnung sind. Das kann er für sich, im Gottesdienst oder mit einem Freund beim Bier am Tresen machen. Im Sinne einer Umkehr oder einer neuen Ausrichtung seines Lebens. Die Freiheit des Gewissens in der Bindung an das Evangelium.

Wie ist das beim Abendmahl, der Eucharistiefeier?

In der römisch-katholischen Kirche geht man von der Anwesenheit Jesus aus, wie ist das bei Ihnen?

(Lacht) Das ist ein sehr schwieriger Punkt, das sind theologische Spitzfindigkeiten. Die Transsubstantiation (Wesensverwandlung) gibt es in der römisch-katholischen Kirche, die haben wir nicht. Nach unserer Auffassung wandelt nicht der Priester diese Gaben in Stellvertretung Christi um. Letztendlich ist es die Feier der Gemeinde und des Gottesdienstes, in der sich diese Wandlung vollzieht, dass die Gemeinde dann zum Leib und Brot Christi wird. Für uns heißt das, ich kann keine Eucharistiefeier halten, wenn nicht Gemeinde da ist. Der römisch-katholische Priester kann die Messe für sich alleine vollziehen.

Viel wichtiger und entscheidender ist für uns die synodale Struktur, die Gemeinde hat Mitsprache in allen Bereichen. Bis hin zur Pfarrerwahl, zur Bischofswahl. Der Pfarrer wird von der gesamten Gemeinde gewählt, der Bischof wird von den Vertretern aller Gemeinden gewählt. Es gibt rund 40 Gemeinden in Deutschland. Die Gemeinde Nordstrand ist zuständig für ganz Schleswig-Holstein. Wir sind also die Gemeinde Nordstrand/Schleswig-Holstein. Gottesdiesnte feiern wir in Kiel, in Bad Schwartau, jeweils in evangelischen Kirchen. Mit den evangelischen Kirchen gibt es keine Berührungsängste. In einigen katholischen Gemeinden ist das anders, das hängt damit zusammen, dass sie Angst haben, wir könnten ihnen die Mitglieder abspenstig machen, wenn die mitkriegen, dass es eine Kirche gibt, in der vielleicht all das verwirklicht ist, was innerhalb der römisch-katholischen Kirche gewünscht wird. Hauptsächlich die synodale Struktur, dass sie mitreden können, die Möglichkeit, dass Priester heiraten, die Möglichkeit, dass Frauen Priester werden. Dass eine zweite kirchliche Trauung möglich ist.

Wie zum Beispiel der Bundespräsident beim Besuch des Bischofs von Rom, wie wir den Papst nennen, meinte, dass etwas passieren müsse. Er ist selbst betroffen, durch Scheidung und Wiederheirat ist er von den Sakramenten ausgeschlossen.

Und wie ist das mit den Ungläubigen, den Zweiflern und den anderen guten Christen, die Sie zu jedem Gottesdienst einladen?

"Geklaut", sagt Pfarrer Reynders augenzwinkernd. Das war die Idee zweier finnischer Pastoren, die gesagt haben, wir kriegen die Menschen nicht mehr in die Kirche. Es werden extra Gottesdienste angeboten für Ungläubige, Zweifler und andere gute Christen. Auch wer ungläubig ist, kann ein guter Christ sein. Bei uns gilt das für jeden Gottesdienst.

Und Weihnachten und Ostern finden wie überall statt. Na dann.

Wolfgang Claussen