Haithabu

Ein Blick auf Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Nf.I im Gespräch mit dem neuen Leiter des Wikinger Museum Haithabu Dr. Matthias Simon Toplak

Trotz eines vollen Terminkalenders, den der Neustart am 1.10.2021 mit sich bringt, nahm sich der neue Museumsleiter von Haithabu die Zeit, mit uns über seine neuen Aufgabenbereiche zu sprechen und Fragen zu beantworten.

Wie seine Vorgängerin Ute Drews, die 34 Jahre lang maßgeblich dazu beitrug, das Gesicht des Wikinger Museums so zu prägen, wie es sich heute seinen Besuchern aus aller Welt präsentiert,

erfüllt sich mit dieser Aufgabe auch für den jungen Wissenschaftler ein langgehegter Traum.

1985 wurde das Museum eröffnet mit dem Außenbereich der Ringwallanlage, welche die südlichste Wikingersiedlung und den Hafen (ab dem frühen 8. Jahrhundert) schützte. Es gehört zu der Stiftung Schleswig-Holsteinische Landesmuseen und wurde 2018 Weltkulturerbe, gemeinsam mit den Wallanlagen des Danewerks (ab 450 n.Chr.), das zum Sydslesvigsk Forening e.V. gehört.

Die malerisch am Haddebyer Noor, einem Nebengewässer der Schlei, gelegenen Gebäude erinnern an umgedrehte Schiffsrümpfe. 2016 wurden diese wegen Schimmelbefalls geschlossen und anderthalb Jahre aufwändig mit Landes- und EU-Mitteln saniert. Die Präsentation der Funde und Erkenntnisse zum Leben in der Wikingerzeit mit dem Schwerpunkt Handel und Handwerk war bereits 2010 neu konzipiert und medial sehr abwechslungsreich und anschaulich umgesetzt worden.

Darum wird sich daran, abgesehen von einer der Aufnahme ins Weltkulturerbe geschuldeten Umgestaltung des Eingangsbereiches, nichts ändern.

Während der Sanierungsphase wurde 2017 die wahrscheinlich letzte große Ausgrabung in einem der Gräberfelder innerhalb des Ringwalls durchgeführt, die unter anderem zur Bergung von kostbarem Goldschmuck führte, der inzwischen in einer Extravitrine zu sehen ist. Damit erhöhte sich die Zahl der in Haithabu geborgenen Fundstücke auf über 12.000. Neben der gut organisierten Möglichkeit, die Grabungsarbeiten direkt zu beobachten, machten die Aktivitäten im Freilichtmuseum, das zum 20-jährigen Bestehen des Museums geschaffen worden war, trotz der geschlossenen Ausstellung den Besuch attraktiv.

Inzwischen gibt es sieben Häuser, originalgetreue Nachbauten, was Bauweise, Material und Standorte betrifft. Eine Landebrücke mit Schiff und Booten im Sommer, Bohlenwege, ein befestigter Bachlauf, Zäune und Gärten versetzen die Besucher in die Zeit der Handelsmetropole. Man könne sich, wenn man zwischen den Häusern stünde, um die eigene Achse drehen und sähe nichts Modernes, so als befände man sich tatsächlich in der Vergangenheit, schwärmt Dr. Toplak. Dieser Eindruck verstärkt sich natürlich auch durch die Abgelegenheit am Noor, wohin kein neuzeitlicher Lärm von Acker oder Straße dringt.

Die Frage, ob noch weitere Gebäude dazukommen werden, verneint der Wissenschaftler mit der Begründung, dass die bestehenden nur deshalb an ihren ursprünglichen Standorten errichtet werden durften, weil der Boden dort bei früheren Grabungen bereits vollständig ausgewertet worden sei. Das gelte für andere Siedlungsbereiche innerhalb des Ringwalls nicht. 2002 untersuchte man mit Geomagnetik und Georadar die genauen Strukturen der nicht ausgegrabenen Bebauung des Areals. So entstand eine Vorstellung des „Stadtplans“ der ältesten Stadt in Nordeuropa, die bis zu 2000 Menschen beherbergte. Jegliche Eingriffe dort untersage der Bodendenkmalschutz.

Unsere Frage nach etwaigen weiteren Grabungen innerhalb des Ringwalls werden damit beantwortet, dass solche nicht geplant seien und der Museumsleiter sich davon auch keine neuen Erkenntnisse verspreche.

Es gebe allerdings eine lizensierte Detektorgänger-Szene, die im Hinterland Haithabus aktiv sei. Außerdem werde in Füsing bei Schaalby in Angeln nördlich der Schlei eine vielversprechende Grabung durchgeführt. (Es handelt sich dabei um eine Siedlung von ca. 200 Grubenhäusern und zahlreichen Langhäusern sowie einer eisenzeitlichen Halle. Stand August 21. Diese Siedlung wird auf die Zeit um 700 datiert und ist damit älter als „die Stadt“ Haithabu.) In Kosel, einem weiteren Landeplatz der Wikinger am südlichen Ufer der Schlei in Schwansen, graben zwei Archäologen von der Universität Tübingen. Diese Universität ist bekannt für ihren starken Schwerpunkt zum Thema Wikingerzeit. Hier war Dr. Toplak als Dozent tätig, bevor er unter 40 Bewerbern für die Leitung des Wikinger Museum Haithabu ausgewählt wurde. Diese Wahl verwundert nicht wirklich, denn das umfassende Wissen und die vielseitige Herangehensweise, welche schon durch seine Veröffentlichungen deutlich werden, haben auch unser Gespräch vom Anfang an geprägt. Hinzu kommen die Begeisterung für die Sache und die klare Absicht, dieser nicht nur im stillen Kämmerlein zu frönen.

So besteht der Plan, den Freilichtbereich der sieben Häuser durchgängiger zu beleben, sodass die Gäste sich nicht nur zu den Märkten in die Welt der Wikinger versetzt fühlen können, sondern auch normale Alltagsroutinen erfahren. Hierzu wünscht sich Dr. Toplak, der selbst auch „aus dem Reenactment“ kommt, Menschen, die willens und in der Lage sind, z.B. in ihrem Urlaub für gewisse Zeit in der Siedlung auf Wikingerart zu leben.

Als wichtige und notwendige Erweiterung gilt für Dr. Toplak vor allem auch der Schritt in die digitale Erlebbarkeit. Ideal sei es für ihn, eine gelungene Kombination aus kognitiver und haptisch-emotionaler Rezeption zu erreichen, die er in dem Begriff „multimodal“ zusammenfasst.

Dr. Toplak plant unter anderem die Digitalisierung des Museums voranzutreiben, zum Beispiel mit einer App für Handy und Tablet, die es sowohl möglich machen soll, Vor- und Nachbereitung eines Museumsbesuches zu erleichtern, als auch das Erlebnis vor Ort zu intensivieren. So wünscht er sich die Möglichkeit für die Besucher, Beschriftungen und Tafeltexte nachlesen zu können.

Desgleichen sollen Fundstücke mit Hilfe von „Augmented Reality“ von allen Seiten betrachtbar gemacht werden. Ein weiterer Traum ist, mittels einer solchen App das Haithabu von vor 1000 Jahren wiederauferstehen zu lassen. Beispielsweise könnte man die Kamera des Handys vom Ringwall aus über die ehemalige Stadt führen, während auf dem Display eine graphisch rekonstruierte Darstellung der Bebauung der anvisierten Fläche erscheint.

Diese Digitalisierung soll das Haithabu WELTkulturerbe auch global zugänglich machen. Was dazu nötig ist, sei vorhanden, so der neue Museumsleiter, der die Freude an seiner Arbeit nicht verhehlen kann.

Wenn man „Terra X Matthias Toplak“ googelt, stößt man neben Live Videos auch auf andere interessante Beiträge. Ein Blick auf seinen sehr informativen Blog „Wikinger-Toplak.de“ lohnt sichebenfalls.

Am 30. und 31. Oktober lockt der Herbstmarkt im Freilichtbereich des Wikingermuseums zu einem Besuch.

Andrea und Sophie Claussen